Wie ein Blütenblatt im Sturm
taumelnd auf die Füße und stieß einen beeindruckenden Strom von Flüchen aus, während er begann, in der Zelle herumzulaufen. Schließlich wandte er sich mit einem verächtlichen Unterton wieder an Rafe. »In Anbetracht der Dummheit des britischen Adels kann ich wirklich nicht verstehen, warum der ganze Haufen nicht längst ausgestorben ist. Wenn Sie einem besoffenen Schmutzfinken geglaubt haben, ohne seine Worte in Frage zu stellen, dann wußten Sie niemals das geringste über Maggie. Sie haben verdient, was Sie bekommen haben. Bei Gott, Maggie allerdings nicht.«
Rafe errötete vor Wut, konnte aber Andersons Argumentation nicht einfach verwerfen. »Sie wissen augen-scheinlich nicht viel über den Adel, sonst würden Sie derartige Dinge nicht einfach so dahinsagen. Kein Mann von Ehre würde bei einem solch ernsten Thema lügen.
Selbst stockbetrunken sagt man so etwas eigentlich überhaupt nicht. Wahrscheinlich wäre nicht einmal ein Wort darüber gefallen, wenn Northwood gewußt hätte, daß ich mit Margot verlobt war.«
Anderson blieb wie angenagelt stehen. »Northwood?
Jetzt sagen Sie bloß nicht, Oliver Northwood?«
»Doch. Genau. Ich vergaß, daß Sie ja mit ihm arbeiten.«
Eine neue Schimpftirade stellte die vorherige noch in den Schatten. »Wenn Sie nicht einfach blöd sind, dann sind Sie zu naiv und zu ehrenhaft, um in dieser höchst feh-lerhaften Welt überleben zu können«, fuhr Anderson ihn an. »Ich kann einfach nicht fassen, daß Sie Northwood mehr Glauben geschenkt haben als Maggie, aber vielleicht war er ja damals noch etwas glaubwürdiger als heutzutage. Wenn ich das so höre, ganz sicher aber nicht ehrlicher.«
»Seien Sie nicht albern«, erwiderte Rafe hitzig. »Wieso sollte Northwood den Wunsch gehabt haben, den Ruf eines unschuldigen Mädchens zu ruinieren?«
»Gebrauchen Sie doch Ihre Phantasie, Candover«, antwortete Anderson aufgebracht. »Vielleicht war er neidisch auf Sie. Es klingt nicht gerade so, als hätte es besonderer Wahrnehmungskräfte bedurft, um zu sehen, daß Sie und Maggie ineinander verliebt waren. Vielleicht wollte er sich ja auch irgendwie rächen, weil sie ihn abgewiesen hat, möglicherweise war es bloß die Prahlerei eines unreifen Jünglings. Vielleicht mußten Sie ja niemals mit erfunde-nen Eroberungen angeben - viele junge Männer tun es aber. Teufel, so wie ich Northwood kennengelernt habe, kann er auch aus reiner Hinterhältigkeit gelogen haben.«
Rafe fühlte sich verpflichtet, in die Verteidigung zu gehen. »Warum gehen Sie mit Northwood so hart ins Gericht? Sicher, er war immer ein Widerling und hat seine Frau ziemlich übel behandelt, aber das macht ihn doch nicht sofort zum Lügner. Ein Gentleman wird immer als ehrlich angesehen, bis man ihm das Gegenteil beweist.«
»Was für eine wunderbare Einstellung. Wieso können Sie sie nicht auch auf Maggie anwenden?« sagte Anderson beißend, als er sich wieder auf das Stroh fallen ließ. »Der Widerling, den Sie so inbrünstig verteidigen, verkauft seit Jahren Informationen über sein Land an jeden, der welche haben will. Ich bezweifle, daß der Kerl jemals in seinem Leben ehrlich war.«
»Was …?« stammelte Rafe. Es war wie ein Schlag in den Magen. Auch wenn er Northwood niemals nahege-standen hatte, kannte er ihn doch schon seit über zwanzig Jahren. Sie waren in dieselben Schulen gegangen, hatten dieselbe Erziehung genossen. Er hatte niemals Zweifel an Northwoods Ehrbarkeit gehabt.
Und doch erklärte dies so vieles. Maggies totenbleiches Gesicht, als Rafe sie der Untreue beschuldigt hatte, tauchte vor seinem inneren Auge auf. Wie hätte er sich wohl ge-fühlt, wenn die Person, die er am meisten liebte, eine Verleumdung glaubte, ohne auch nur ein einziges Mal daran zu zweifeln?
Nun, genauso, wie sie sich gefühlt hatte: voller Zorn und zu tief verletzt, als Worte es hätten ausdrücken können. Und was hatte sie dann noch gesagt? Etwas wie >wie glücklich sie sich schätzen konnten, den Charakter des anderen erkannt zu haben, bevor es zu spät war< …
Damals hatte er dies als Eingeständnis ihrer Schuld gesehen, was ihm wiederum Northwoods Behauptung bestä-
tigte. Doch nun bekam diese Antwort eine vollkommen neue Bedeutung.
Er vergrub sein Gesicht in den Händen und stöhnte auf.
»0 verflucht, verflucht…« Sein rasselnder Atem erfüllte das kleine Gefängnis, und nur die Anwesenheit des anderen verhinderte, daß er sich dem drohenden Zusammenbruch ergab.
Selbst in den Momenten der
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