Wie ein Blütenblatt im Sturm
ertränken, was er in diesem Augenblick empfand.
»Ich vermute, Sie lieben Maggie immer noch«, bemerkte Anderson beiläufig, als ob diese Sache nur von geringem Interesse war.
»Ich bin, was Maggie betrifft, genauso leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, wie ich es mit einundzwanzig war.« Rafe atmete schaudernd ein. »Ich habe mir immer ziemlich viel auf meine Ausgeglichenheit eingebildet.« Er kippte den Inhalt seines Bechers auf einen Schluck herunter. »Sie ist zu gut für mich.«
»Dem möchte ich nicht widersprechen.«
»Was ist seitdem geschehen? Was hat sie all die Jahre getan? Und wie ist sie Spionin geworden? Sie haben versprochen, es mir zu erklären.« Nun, da Rafe den Anfang der Geschichte in einem anderen Licht sah, konnte er die wachsame, spröde Frau - hart, mißtrauisch, zugleich zynisch humorvoll und schrecklich verletzlich -, die sie geworden war, besser begreifen. Aber es gab noch zuviel, was er wissen wollte, nein, wissen mußte.
»Ich finde, für eine Nacht hatten wir genug aufgewühlte Gefühle«, sagte Anderson, als er sich in eine Decke rollte.
»Ich erzähle Ihnen den Rest der Geschichte morgen früh.
Dann habe ich vielleicht auch das Bedürfnis überwunden, Ihnen die Zähne auszuschlagen.«
Und während er sich tief in das Stroh kuschelte, fügte er noch hinzu: »Wenn Sie die Nacht damit verbringen wollen, sich zu kasteien, dann machen Sie es doch bitte leise.«
Anderson hatte recht. Für eine einzige Nacht war genug gesagt worden. Rafe nahm sich die andere Decke und ließ sich auf dem Stroh nieder.
Er zweifelte allerdings daran, daß er schlafen könnte.
Kapitel 21
EI DER MENGE an Alkohol, die Rafe in der Nacht zu-B vor konsumiert hatte, war es erstaunlich, wie gut er sich am nächsten Morgen fühlte. Er hatte sogar ein wenig geschlafen. Als auch Anderson sich regte, hatte Rafe sich mit seinem neuen Wissen arrangiert. Es hatte keine Chance, daß Maggie ihm jemals vergeben würde, aber er hoffte auf eine Gelegenheit, sie für sein schreckliches Fehlurteil von damals um Verzeihung bitten zu können.
Es war ihm plötzlich sehr wichtig, das zu tun.
Das Frühstück bestand aus frischem Brot, süßer But-ter, Erdbeermarmelade und einer Unmenge ausgezeich-netem, heißem Kaffee. Als Rafe sich ein Brot mit Marmelade bestrich, bemerkte er: »Ich habe in anständigen englischen Landgasthäusern schon weit schlechter ge-frühstückt.«
»Es ist schade, daß sich Varennes Ehrgeiz nicht auf den Restaurationsbetrieb bezieht, sondern auf das Dik-tatorentum«, kommentierte Anderson.
Rafe musterte seinen Gefährten. Auch wenn Anderson behauptete, daß es seinem Arm besser ging, so nahm Rafe an, daß er log: Seine Wangen glühten fiebrig.
Wieder durchfuhr Rafe das Gefühl, den Mann schon irgendwo gesehen zu haben. Je länger er mit Anderson zusammen war, desto mehr glaubte er, ihn zu kennen, obwohl er sich nicht erinnern konnte, woher.
Sie hatten gerade zu Ende gefrühstückt, als die Tür quietschend aufging. Rafe erwartete einen Diener, der das Tablett wegräumen wollte, aber Varenne selbst trat ein, während die unvermeidlichen Wachen an der Tür stehen blieben.
Ohne sich um Höflichkeitsfloskeln zu kümmern, wandte er sich an Anderson. »Ich nehme an, Candover hat Ihnen erklärt, was ich vorhabe?«
Anderson trank erst seinen Becher mit Kaffee aus, bevor er antwortete. »Hat er. Ich wollte wissen, wo ich mich geirrt hatte.«
»Gut.« Varenne griff unter seinen Umhang und zog ei-ne Pistole hervor, deren Mündung er exakt auf die Mitte von Andersons Stirn richtete. »Ich fände es schade, einen Mann zu töten, ohne daß er weiß, warum er stirbt.
Wenn ich auch die Notwendigkeit bedaure, ist mir leider keinerlei Verwendungsmöglichkeit für Sie eingefallen, und solange Sie leben, sind Sie eine Gefahr für mich. Es ist eine Schande, daß ich Sie nicht auf meine Seite ziehen konnte, aber selbst wenn Sie vorgegeben hätten, zu mir überzuwechseln, hätte ich Ihnen niemals voll vertraut.«
Während Rafe noch vor Entsetzen erstarrt zusah, füg-te Varenne hinzu: »Möchten Sie ein letztes Gebet sprechen? Vielleicht haben Sie noch Botschaften an jemanden? Dann tun Sie es bitte schnell. Ich habe heute viel zu tun.«
Mit schneeweißem Gesicht sah Anderson Rafe an.
»Bitte … übermitteln Sie Maggie meine Liebe.«
In dem Schweigen, das folgte, klang das Klicken des Hahns wie der Hammerschlag eines antiken Kriegsgot-tes, der die Vernichtung verkündete.
Obwohl es noch recht früh war,
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