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Wie ein Blütenblatt im Sturm

Wie ein Blütenblatt im Sturm

Titel: Wie ein Blütenblatt im Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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vorgenommen.«
    Rafe ließ sich zu Andersons Füßen auf dem Stroh nieder und mußte über den Galgenhumor lachen. »Ich hätte gerne Varennes Gesicht gesehen, als Sie es ihm sagten.«
    »Sie hätten es nicht genießen können - aus Wut hat er mir das Handgelenk gebrochen«, erwiderte Anderson trocken. »Dennoch - ich war schon in schlimmeren Ge-fängnissen. Das Stroh ist frisch, die Decken sauber, und da wir hier in Frankreich sind, gibt es recht guten Wein zum Essen. Zu dieser Jahreszeit ist es hier unten auszuhalten. Überwintern möchte ich hier allerdings nicht.«
    Rafe versuchte sein Schaudern bei dieser Aussicht zu unterdrücken. Varenne wollte sie doch sicher nicht so lange hierbehalten?
    »Professionelle Neugier stirbt nicht so schnell«, sagte Anderson jetzt. »Hat Varenne Ihnen verraten, was er vorhat?«
    Rafe brachte seinen Gefährten auf den aktuellen Stand, was auch die Gespräche mit von Fehrenbach und Roussaye beinhaltete, erwähnte Lemerciers Tod ohne Beschö-
    nigung. Dann wiederholte er, was Varenne als Motive genannt hatte.
    Nach ein paar Fragen seufzte Anderson und schloß kurz die Augen. »Um eine Meile daneben. Ich komme mir wie ein totaler Idiot vor.«
    »In der Hinsicht befinden Sie sich in bester Gesellschaft«, sagte Rafe düster. »Wir haben uns alle geirrt.«
    Und er, Rafe, am meisten von allen.

    Danach gab es wenig zu sagen. Die Männer saßen im schwindenden Licht und schwiegen. Obwohl es vieles gab, was Rafe Anderson gerne gefragt hätte, schien ihm nichts davon im Augenblick angemessen.
    Als die Stunden verstrichen, entschied Rafe, daß das schlimmste an der Gefangenschaft die Langeweile sein mußte. Die Zelle war zu klein, um sich die Beine zu ver-treten, die Steinmauern ausgesprochen reizlos, und wenn er wirklich längere Zeit hier verbringen mußte, würde er bald wahnsinnig werden.
    Er beneidetet Anderson um seine Ruhe. Durch den Schmerz ausgelaugt, schlief der andere Mann meistens. Aber selbst im wachen Zustand besaß er eine philosophische Gelassenheit, die Rafe, wie er sich ein-gestehen mußte, wohl niemals erreichen konnte. Allerdings hatte Anderson ja auch von früheren Erfahrungen mit Kerkern gesprochen; vielleicht machte Übung den Meister.
    Als es dämmerte, wurde das Abendessen mit der in solchen Situationen üblichen Vorsicht serviert: Ein Mann stellte das Tablett auf den Zellenboden, während ein anderer an der Tür aufpaßte. Das Essen bestand aus recht passablem Eintopf, Brot und Obst, dazu gab es einen Krug mit Rotwein. Außer Zinnschüsseln und Becher bekamen sie als einziges Besteck nur biegsame Löffel, die nicht als effektive Waffen zu verwenden waren. Nach dem Essen wurden Tablett, Schüsseln und Löffel wieder abgeholt, man ließ den Gefangenen jedoch den Wein und die Trinkgefäße da.
    Dieser reichte nicht aus, um betrunken zu machen, wohl aber, um die Zungen zu lösen. Die beiden Männer sprachen gerade über das, was Varenne wohl vorhaben mochte, als Rafe sich fragen hörte: »Warum ist Margot so, wie sie ist?«

    Nach einer langen Weile fragte Anderson zurück: »Warum haben Sie sie nicht gefragt?«
    Rafe lachte rauh. »Ich glaube kaum, daß sie es mir gesagt hätte.«
    »Wie kommen Sie dann auf die Idee, daß ich es tun werde?«
    Rafe zögerte, während er versuchte, sich ein überzeugendes Argument auszudenken. »Ich weiß, daß ich kein Recht habe zu fragen«, sagte er endlich statt einer direkten Antwort, »aber ich möchte sie wirklich sehr gern verstehen. Ich kannte sie einmal sehr gut, oder wenigstens dachte ich es, und nun ist sie mir ein Rätsel.«
    Nach einer noch längeren Weile antwortete Anderson.
    In seiner Stimme klang eine gewisse Feindseligkeit mit.
    »Seit dem Zeitpunkt, als Maggie erfuhr, daß Sie nach Paris kommen würden, ist sie anders - sie ist launisch und unglücklich. Ich lernte sie kennen, als sie neunzehn war, und weiß wenig über ihr Vorleben. Ich weiß allerdings sehr wohl, daß jemand ihr etwas angetan hat, was sie an den Abgrund getrieben hat, und die Franzosen hätten ihr fast den Rest gegeben. Wenn Sie derjenige waren, der ihre Vernichtung in Gang gesetzt hat, dann will ich verdammt sein, wenn ich Ihnen irgend etwas über sie erzähle.«
    Es war nun fast ganz dunkel, und nur ein schwacher Schimmer des Mondlichts brachte ein wenig Licht in die Zelle. Andersons Gestalt war kaum noch zu erkennen -
    schwarz gegen schwarz zu Rafes Rechter. Und in dieser Finsternis erschien der dreizehn Jahre alte Schmerz sehr greifbar, sehr

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