Wie ein Blütenblatt im Sturm
Geschichte.«
Er schob sich in eine sitzende Position. »Ich hatte mein erstes Jahr in Cambridge beendet, als das Abkommen von Amiens in Kraft trat. Also beschloß ich, ein Jahr auszusetzen und zu reisen. Während ich durch Frankreich zog, wurde es immer deutlicher, daß es bald wieder Krieg geben würde. Als ich zufällig über Informationen stolperte, die für die britische Regierung von Interesse waren, schickte ich sie Lucien, da ich wußte, daß er in Whitehall eine Position übernommen hatte.
Lucien kam fast umgehend nach Paris, um mir zu sagen, daß er im Nachrichtendienst arbeitete, und mich zu fragen, ob ich als britischer Agent auf dem Kontinent bleiben wollte.« Andreville zuckte die Schultern. »Jung und dumm wie ich war, hielt ich es für ein großartiges Abenteuer. Tja, und hier bin ich nun.«
Rafe sprach seine Gedanken laut aus. »Warum zum Teufel hat Lucien mir nichts von Ihnen gesagt, bevor ich nach Paris kam?«
»In diesem Geschäft wird es einem zur zweiten Natur, nicht mehr zu sagen, als unbedingt nötig. Lucien hat Sie geschickt, damit Sie mit Maggie zusammenarbeiten. Sie brauchten nicht zu wissen, daß ich auch ein Agent bin.«
Rafe mußte das alles erst einmal verdauen. »Und doch kannte Lucien Margot nicht gut genug, um sicher sein zu können, daß sie Engländerin war.«
»Das liegt daran, daß er sie durch mich kennengelernt hat und ich ihm nur gesagt habe, daß sie Engländerin ist, ohne etwas über ihren Namen oder ihr Vorleben zu verraten.«
Rafe zog ein Gesicht. »Ich kann nicht umhin zu denken, daß die Dinge weit einfacher gewesen wären, wenn es weniger Geheimnisse gegeben hätte.«
»In diesem Fall stimmt das durchaus.« Andrevilles Miene verfinsterte sich. »Aber es hat Zeiten gegeben, in denen Menschen gestorben sind, weil ihre Namen durch Folter aus gefangenen Kollegen herausgepreßt wurden.«
Rafe fand, es war Zeit, auf das Thema zurückzukommen, das ihm am meisten am Herzen lag. »Sie wollten mir noch von Margots Leben in den Jahren erzählen, in denen ich sie nicht gesehen habe.«
»Wenn Sie es wirklich hören wollen? Es ist keine schöne Geschichte.«
»Wenn es nicht einfach ist, sie anzuhören, dann muß es für Margot um so schlimmer gewesen sein, dies alles zu erleben«, sagte Rafe grimmig. »Ich will alles wissen.«
»Wie Sie wollen.« Andreville kam auf die Füße und lehnte sich an die Wand unter dem Fensterchen. »Ich denke, Sie wissen, daß Maggie, ihr Vater und sein Diener von einer Bande ehemaliger Soldaten, die nach Paris wollten, überfallen wurden?«
»Ja, und es löste in London einen anständigen Skandal aus. Dennoch wurden keine Einzelheiten bekannt, weswegen allgemein angenommen wurde, daß Margot tot war.«
Mit tonloser Stimme fuhr Andreville fort: »Maggie, ihr Vater und Willis aßen gerade in einem Landgasthof, als etwa ein halbes Dutzend entlassener Soldaten hereinkamen. Sie waren bereits betrunken und pöbelten jeden an. Colonel Ashton versuchte, seine kleine Gruppe ohne Aufsehen zu entfernen, doch jemand hatte seinen englischen Akzent bemerkt. Man beschuldigte sie, Spione zu sein, und die Soldaten stürzten sich auf sie.
»Ashton und sein Diener wehrten sich natürlich nach Kräften, aber gegen die Überzahl hatten sie keine Chance. Am Ende warf sich der Colonel über seine Tochter, weil er hoffte, er könnte wenigstens ihr Leben retten.« Andrevilles helle Haut spannte sich über den feinen Knochen seines Gesichts. »Maggies Vater starb, quer über seine Tochter liegend, Candover, und dabei aus zahllosen Messer- und Schußwunden blutend.«
»Lieber Gott«, flüsterte Rafe. Margot hatte ihren Vater innig geliebt. Ihn so sterben zu sehen … Der Gedanke erregte Übelkeit. Nun, Andreville hatte ihn gewarnt. Und so wappnete Rafe sich gegen das, was noch kommen mochte. »Und dann?«
»Was zum Teufel glauben Sie wohl, Candover?« sagte Andreville mit mühsam beherrschtem Zorn. »Ein Mädchen mit Maggies Aussehen in den Händen einer Bande betrunkener ehemaliger Soldaten?«
Rafe stand nun ebenfalls auf und begann umherzuge-hen, denn bei solchen Abscheulichkeiten konnte er ge-nausowenig ruhig dasitzen wie Andreville. Er mußte wieder daran denken, wie nah Maggie auf dem Place du Carousel gewesen war, hysterisch zu werden. Lieber Himmel, kein Wunder, daß sie Alpträume von grap-schenden Händen und gemeinen Gesichtern hatte; kein Wunder, daß sie sich vergewissern mußte, daß nicht al-le Männer wilde Bestien waren.
Andreville fuhr mit
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