Wie ein Blütenblatt im Sturm
düsterer Stimmung, als er in sein Hotel zurückkehrte. Trotz Luciens und Maggies Ängsten hatte er nicht wirklich geglaubt, daß die geprügelten Nationen Europas wieder einen Krieg beginnen würden, doch der Vorfall im Theater hatte ihn davon überzeugt.
Die Sturmwolken schienen sich zu sammeln, und die Möglichkeit einer erneuten Eskalation war ganz und gar nicht abwegig.
In Gedanken versunken betrat Rafe sein Schlafzimmer.
Er wollte gerade seinem Kammerdiener klingeln, als eine kühle Stimme aus einer dunklen Zimmerecke zu ihm drang.
»Ich hätte gerne mit Ihnen gesprochen, bevor Sie zu Bett gehen, Euer Hoheit.«
Die Stimme war unverkennbar - Honig mit einem Hauch von knirschendem Granit und er identifizierte seinen Gast, bevor seine Augen sich an das dämmrige Kerzenlicht angepaßt hatten. Maggie hatte sich lässig in einem Sessel niedergelassen. Sie trug dunkle Männerkleidung, ihr helles Haar war unter einer gestrickten Kappe verborgen. Über dem Bett lag ein schwarzer Mantel.
Rafe fragte sich, wie zur Hölle sie hier hereingekommen war, wollte ihr aber nicht den Triumph lassen, nachzufra-gen. »Übst du für eine Shakespeare-Rolle? Viola vielleicht?«
Sie lachte auf. »Eigentlich fühle ich mich eher als Rosa-lind.«
Er zog seinen Rock aus und warf ihn über das Sofa. »Ich nehme an, du hast einen anderen Grund, hier zu sein, als ein Mann normalerweise vermutet, wenn er eine Frau in seinem Schlafzimmer vorfindet.«
Die Bemerkung war ein Fehler. Sie warf ihm einen ste-chenden Blick zu und antwortete: »Du nimmst richtig an.
Es gibt verschiedene Dinge, über die wir reden müssen, und dies schien mir der sicherste und schnellste Weg.«
»Also gut. Wie war’s mit einem Cognac?« Als sie nickte, schenkte er zwei Gläser ein und setzte sich dann seinem Gast gegenüber. »Was hast du herausgefunden?«
Sie schwenkte abwesend den Brandy im Glas. »Meine Quellen verweisen auf drei Hauptverdächtige und verschiedene weniger Wichtige. Es sind alles prominente Männer, die gewöhnlich als über jeden Verdacht erhaben betrachtet werden. Jeder von ihnen hat die Möglichkeit und die Motivation, eine solche Art von Verschwörung zu planen.«
»Deine Effizienz beeindruckt mich.« Er nahm einen Schluck aus seinem Glas. »Wer sind die Verdächtigen?«
»Ohne Reihenfolge sind das ein preußischer Oberst, Karl von Fehrenbach, und zwei Franzosen, der Comte de Varenne und General Michel Roussaye.«
»Was sind die Beweggründe?«
»Der Comte de Varenne ist ein Ultraroyalist, ein enger Verbündeter von König Louis’ Bruder, den Comte d’Artois. Du weißt sicher, daß d’Artois ein fanatischer Reaktionär ist. Er und seine Emigré-Freunde wollen jeden Hauch revolutionären Geistes in Frankreich auslöschen und das Land zum ancien régime zurückführen.«
Sie machte eine ungeduldige Geste. »Natürlich ist das unmöglich - man könnte ebenso versuchen, Ebbe und Flut zurückzuhalten -, aber das interessiert sie nicht. Varenne ist in den letzten zwanzig Jahren in dubiosen royalistischen Angelegenheiten in Europa herumgereist. Einige seiner letzten Projekte qualifizieren ihn für unsere Liste.«
»Ich verstehe.« Ihre hohen Wangenknochen wurden im weichen Kerzenlicht dramatisch hervorgehoben, und die Strähnen goldenen Haares, die sich unter der Kappe ge-löst hatten, leuchteten sanft und kontrastierten aufregend mit ihrer strengen Kleidung. Rafe hatte Mühe, sich wieder auf ihre Worte zu konzentrieren. »Wenn die Verschwörung von den Ultraroyalisten kommt, wer, meinst du, ist dann das Ziel?«
»Das mag vielleicht weit hergeholt klingen«, sagte sie zögernd, »aber Varenne könnte versuchen, König Louis selbst umzubringen, so daß der Comte d’Artois den Thron besteigen kann.«
Rafe stieß einen leisen Pfiff aus. Das war ein häßlicher Gedanke, aber bei der momentanen instabilen Lage Frankreichs war vermutlich alles möglich. »Was ist mit den zwei Franzosen?«
»Roussaye ist Bonapartist. Ein Bäckersohn, der sich hochgekämpft hat, bis er zu einem der besten Generäle Frankreichs geworden ist. Er ist zäh, tapfer und gewitzt und Napoleon und der Revolution treu ergeben. Im Augenblick steht er in Talleyrands Diensten und kümmert sich um Fragen der französischen Armee.«
»Und wen sollte er im Auge haben?«
Sie zuckte die Achseln. »Aus seinem Blickwinkel kann es vermutlich jeder alliierte Offizielle sein, denn das wür-de in ein viel härteres Abkommen, Frankreich betreffend, münden. Wenn einem der
Weitere Kostenlose Bücher