Wie ein boser Traum
suchte, dort finden. »Weißt du«, er sah Clint an, »die meisten Leute glauben, wegen der Bemerkung, die du über Keith und die Prügelei mit seinen Kumpels gemacht hast, dass du ihn umgebracht hast. Es wäre schön, wenn jemand dein Alibi bestätigen könnte. Der Staatsanwalt nimmt an, dass der Tod zwischen zehn und elf gestern Morgen eingetreten ist.«
Zehn und elf – das war, als er und Emily …
»Ich war allein in der Scheune. Noch Fragen?«
Ray seufzte, müde. »Lass mich mal deine Hände sehen.«
Clint legte die Hände, Handfläche nach oben, auf den Tisch. »Die lädierten Fingerknöchel habe ich mir bei der Prügelei Samstagnacht zugezogen. Die Wunden sind schon verschorft. Die sehen wohl kaum aus, als hätte ich sie gestern bekommen.«
Ray musterte ihn einen Moment. Er musste nichts sagen. Clint wusste, was er dachte. Seit Clints Entlassung war es mit der Stadt den Bach runtergegangen. Die Leute waren nicht gut aufgelegt. Existenzen waren aus der Bahn geworfen worden. Ach, scheiß drauf. Seine Existenz war auch aus der Bahn geworfen worden. Er hatte über zehn Jahre verloren. Wie Ray selbst gesagt hatte, er hatte seine Zeit abgesessen. Er hatte dasselbe Recht, hier zu sein, wie alle anderen.
»Halt dich einfach so weit wie möglich aus der Öffentlichkeit heraus, bis wir in der Angelegenheit eine Spur haben«, schlug Ray vor. »Ich möchte nicht noch mehr Ärger bekommen.«
Clint schob den Stuhl nach hinten und stand auf. »Ich werde dir keinen machen.« Er zögerte, ehe er auf die Tür zusteuerte. »Ich möchte nach wie vor diese Akten einsehen, Ray, ich weiß nicht, warum du mich hinhältst.«
»Ich halte dich nicht hin, Clint. Gestern war Sonntag, und ich war heute Morgen ziemlich beschäftigt.« Ray stand auf, sah überallhin, nur nicht zu Clint. »Was glaubst du denn darin zu finden? Der Fall ist abgeschlossen. Ein für alle Mal vorbei. Wie ich dir schon mal gesagt habe, es gab keine Indizien dafür, dass irgendjemand anderes als du und Emily in jener Nacht in dem Zimmer
waren. Die Akten werden dir nicht helfen. Am besten, du kümmerst dich nicht weiter darum.«
»Verbirgst du etwas vor mir, Ray? Hast du deshalb ein Problem damit, dass ich die Akten einsehe?« Er erschrak selbst über den Nachdruck in seiner Stimme. Auch Ray erschrak. Verdammt, er hätte nicht die Beherrschung verlieren wollen. Schon zu viel war seiner Kontrolle entglitten. Aber er hatte gesehen, dass Ray plötzlich wachsam dreinschaute. Clint kannte ihn gut genug, um zu erkennen, wenn er etwas verbarg.
Die Tür ging auf. Caruthers steckte den Kopf ins Zimmer. »Alles in Ordnung hier drinnen?«
Clint blickte vom neugierigen Deputy zu dessen Chef.
»Alles okay«, bestätigte Ray.
Caruthers schloss die Tür, warf Clint aber vorher noch einen letzten festen Blick zu. So war das eben in dieser Stadt. Clint würde immer als der Bad Guy gelten, auch wenn er es nicht war. Aber das hatte er ja gewusst, bevor er hierher zurückgekehrt war.
»Sieh mal, Clint. Ich will dich nicht abweisen.« Ray setzte eine verständnisvolle Miene auf, der allerdings jede Substanz fehlte. »Alle Akten, die zehn Jahre alt sind oder älter, werden zur dauerhaften Aufbewahrung in den Keller des Gerichtsgebäudes gebracht. Ich brauche Zeit, um deine zu finden … wenn sie bei jenem Wasserschaden vor Jahren nicht unrettbar beschädigt wurde. Aber ich verspreche dir: Ich tue, was ich kann.«
Klang in Clints Ohren wie eine Ausrede. »Mach das.« Ray dachte nicht im Entferntesten daran, ihn auch nur in die Nähe der Akten kommen zu lassen.
Als Clint an der Tür stand, stoppte Ray ihn mit einer
letzten Frage: »Könnte es sein, dass Emily Wallace gestern dein Haus observiert hat?«
»Nein.« Clint wollte es dabei bewenden lassen, aber er zögerte, entschloss sich, die Dinge völlig klar auszusprechen. »Ich bezweifle, dass sie mich je wieder zu Hause besuchen wird.«
Sie hatte eine harte Wahrheit gelernt. Hatte sich schuldig gefühlt. Also war sie gekommen, um Buße zu tun. Das gestern Morgen war nichts weiter als eine Mitleidsnummer gewesen.
Emily würde nicht zurückkommen.
14.45 Uhr
Die Sache stank Ray genauso wie die mit Clint.
Aber es war nötig, sie durchzuziehen.
Mike würde Larry Medford vernehmen, und Fitzpatrick würde sich mit Perry Woods befassen.
Ray betrat den Verhörraum, in dem Troy auf ihn wartete. Das war das Schöne, wenn man Chief war: Die Aufgaben, die kein anderer übernehmen wollte, waren immer
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