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Wie ein dunkler Fluch

Wie ein dunkler Fluch

Titel: Wie ein dunkler Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Webb
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mit ihm.
    Sie bezweifelte, ob sie in diesem Leben jemals wieder über etwas Persönliches mit ihm sprechen würde. Vertrauen entstand nicht einfach so. Deshalb war es ihr ja ein so großes Rätsel, wieso sie ausgerechnet McBride gegenüber ihr Innerstes nach außen gekehrt hatte. Sie hatten über ihre Kindheit gesprochen – eine Kindheit, die nicht schöner und vollkommener hätte sein können. Die Highschool war die Highschool. Sie war nicht gerade eine Außenseiterin gewesen, aber allzu beliebt auch nicht.
    Danach das College – und dann war ihr Leben aus den Fugen geraten.
    Solange es einem nicht selbst passiert ist, kann sich niemand vorstellen, wie viel sich in einem einzigen Augenblick verändern kann.

    Die Nacht war kühl, der Blick vom Balkon auf seltsame Weise beruhigend. Alles um sie herum war ihr Zuhause, obwohl sie das seit Jahren zu leugnen versucht hatte.
    McBride hatte mit einer Miniflasche Jim Beam dafür gesorgt, dass sie lockerer wurde. Was sollte sie dazu sagen? Es kostete nicht viel, sie betrunken zu machen. Eine kleine Flasche, und schon war sie bereit, ihm alles zu erzählen, wenn er nur lange genug still dasaß und ihr zuhörte.
    Vielleicht brauchte sie auch einfach nur jemanden, dem sie es erzählen konnte.
    »Nachdem die Arbeitsgruppe zu Ende war …«, stupste er sie an und erinnerte sie daran, dass sie mitten in der Geschichte aufgehört hatte.
    »Ich war auf dem Weg zurück zu meinem Zimmer.« Sie befeuchtete sich die Lippen und stellte sich der schmerzlichen Erinnerung. »Es war spät. Dunkel. Um diese Zeit durften wir nicht mehr draußen sein. Ich wusste, wenn man mich erwischt, würde ich richtig Ärger bekommen. Deshalb hielt ich mich immer im Schatten. Ziemlich dumm, was?«
    »Überhaupt nicht.« Er lehnte sich gegen das Geländer, stieß den Rauch seiner Zigarette aus. »Verständlich. Sie waren siebzehn. Sie hatten mehr Angst davor, den Dekan und Ihre Eltern zu enttäuschen, als vor der Dunkelheit.«
    Sie lachte. »Mann, diese Lektion habe ich aber ganz schnell gelernt.« Sie atmete tief ein und fuhr dann fort. »Ich habe ihn überhaupt nicht gesehen oder gehört. Später – Stunden oder Minuten später – bin ich in einem Raum aufgewacht. Ich hatte den Eindruck, dass es ein
Keller war. Später habe ich herausgefunden, dass das zutraf. Der Mistkerl hatte eine Villa in Brentwood, am Rande von Nashville. Er war Arzt … behauptete er jedenfalls. Seine Approbation war gefälscht. Ein Dr. Lyle Solomon existierte nur in den zwei Jahren, in denen er in Nashville als Arzt tätig war.«
    McBride stellte keine Fragen. Er ließ sie einfach reden.
    »Während der ersten Tage war ich sicher, dass jemand kommen würde. Dann begriff ich nach und nach, dass das nicht zutraf.« Sie erinnerte sich an diesen Moment, als wäre es erst heute Morgen gewesen. Die Erkenntnis hätte fast zur Selbstaufgabe geführt. Dann aber, den Grund dafür würde sie wohl nie begreifen, setzte sich ihr Wille durch. »Ich habe von Anfang an das getan, was er mir sagte. Ich hatte von einigen seiner anderen Opfer gehört und wusste deshalb, was passieren würde, wenn ich es nicht täte. Vielleicht war es auch einfach nur diese ganze Haltung des Gehorsams, mit der man in einem konservativen Südstaaten-Zuhause aufwächst. Wie auch immer. Ich tat genau das, was er mir sagte – egal wie ekelhaft es war.«
    »He! Sie leben. Sie waren klug.«
    Oder ein Feigling. » Ich war nicht klug, McBride. Ich war verzweifelt.« Sie rieb sich die Arme, aber die Kälte kam aus ihrem tiefsten Inneren. »Ich hatte keine Waffe. Er war größer und stärker als ich. Ich war hilflos. Irgendwann sagte er etwas zu mir, was mich zum Nachdenken brachte.« Sie erschauderte bei der Erinnerung. »Er berührte meine Kehle …« – sie demonstrierte es ihm – »dort, wo man den Herzschlag fühlen konnte, und erinnerte mich daran, wie zerbrechlich das Leben ist. Ich dachte darüber nach, und mir wurde klar, dass
er Recht hatte. Ich musste nur die richtige Stelle treffen. Ich hatte nur eine einzige Wahl. Entweder töte ich ihn oder er mich.«
    »Verzweiflung kann hilfreich sein«, räumte McBride ein. »Sie haben die Sache beendet.«
    Ja, das stimmte. »Ich habe sein Gesicht zum ersten Mal gesehen, als er tot war. Vorher hatte ich nur seine Stimme gehört …« Sie war sich immer sicher gewesen, dass es zwei Männer gegeben hatte. Dieser Verdacht nagte sogar jetzt noch an ihr.
    »Sie haben dafür gesorgt, das er niemandem mehr etwas antun kann«,

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