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Wie ein Flügelschlag

Wie ein Flügelschlag

Titel: Wie ein Flügelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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aufziehenden Sturm.
    »Liebe?«, sagt er. »Ich weiß gar nicht, ob mein Vater dieses
Wort überhaupt kennt. Bei ihm geht es nicht um Liebe. Bei ihm
geht es um Leistung und darum, dass du funktionierst. Sonst
nichts.«
    »Aber du …« Ich will ihm widersprechen, will ihn daran erinnern,
wie locker mir der Umgang zwischen ihm und seinem
Vater vorgekommen ist und wie ungerecht mir das gegenüber
Melanie erschienen war. Doch ich sage nichts. Ich sehe an seinen
Augen, dass er das Gleiche denkt.
    Ich werfe einen Blick auf mein Handy und stelle bestürzt fest,
dass ich zum Training muss. Nach dem, was heute Vormittag im
Unterricht abgelaufen ist, möchte ich am liebsten einen großen
Bogen um die Halle machen. Ich kann mir sowieso nicht vorstellen,
jemals wieder in dem Becken zu trainieren, in dem Melanie
gestorben ist. Aber ich weiß auch, dass ich diesen Schritt
gehen muss. Wenn ich ihn jetzt nicht gehe, werde ich nie wieder
schwimmen können.
    »Ich muss los.« Fast schäme ich mich, es auszusprechen.
»Drexler wartet. In der Schwimmhalle.«
    Ich bin erleichtert darüber, dass er nichts sagt, sondern einfach
nur nickt.
    Er zieht seine Hände unter meinen hervor und steht auf.
»Danke. Danke dafür, dass du gekommen bist.« Seine Finger
berühren meinen Arm. »Dabei habe ich mich am Samstag wie
ein kompletter Idiot benommen.«
    Obwohl mir gar nicht danach zumute ist, muss ich lächeln.
»Ich glaube, im Moment benehmen wir uns alle ziemlich idiotisch
«, antworte ich.
    Mika verspricht, sich wieder bei mir zu melden. Er will sich
trotz allem noch mal in Melanies Zimmer umschauen. Auch
wenn er nicht glaubt, dass Mel das Construnit selbst geschluckt
hat, muss es ja irgendeinen Grund dafür geben, dass sie es mit
sich herumgetragen hat.
    Mika zieht den Schal fester um seinen Hals und kriecht wieder
tiefer in seinen Parka. Verlegen stehen wir voreinander. Ich
warte, ob er noch irgendetwas sagt, warte darauf, dass noch
etwas geschieht, aber Mika nickt nur stumm und geht. Von hinten
sehe ich seinen Rücken, sehe seine Hände in den Jackentaschen
und stelle mir vor, wie er den Arm um mich legt und ich
mich an seine Jacke schmiege. Ob sie nach Schnee riecht? Oder
riecht alles an ihm nach Meer?
    Auf einmal bleibt er stehen, dreht sich um und geht wieder
ein paar Schritte auf mich zu. Fragend sehe ich ihn an.
    Da steckt er die rechte Hand in die Jackentasche und zieht
etwas heraus. »Ich glaube, Melanie hätte gewollt, dass du ihn
bekommst«, sagt er. In seiner Hand liegt Mels iPod.
    Ich starre Mika an und schüttele den Kopf. Das kann ich nicht
annehmen. Aber er drückt mir das Teil einfach in die Hand.
»Nun nimm schon. Was soll ich damit?«
    Ich will etwas sagen, doch er lächelt nur. »Hast du nicht gesehen?
Das Ding ist pink. Damit kann ich mich echt nicht blicken
lassen.«
    Jetzt muss auch ich lachen und es tut so gut. Ich muss an
den Efeu denken, der selbst mitten im Winter über die Mauer
kriecht. Vielleicht gibt es ja doch immer einen Weg, egal wie
hoch eine Mauer ist.
    Nachdem Mika gegangen ist, stehe ich noch eine ganze Weile
im Park und sehe ihm nach. Und dann fällt mir ein, dass ich
ihm nicht von der SMS erzählt habe, die Mel mir am Abend vor
ihrem Tod geschrieben hat. Und plötzlich fällt mir noch etwas
ein. Etwas, das so ungeheuerlich ist, dass ich mich frage, wie ich
das die ganze Zeit übersehen konnte …

    Als ich in die Schwimmhalle komme, brauche ich meine ganze
Kraft, um nicht immer wieder zu der Stelle zu sehen, an der Melanie
gelegen hat. Ich bewege mich wie in Trance, während ich
am Becken entlang zur Leiter gehe, um ins Wasser zu steigen.
Nora und Bea sitzen auf den Startblöcken und beobachten jeden
meiner Schritte. Jonas lehnt an der Leiter und macht keine Anstalten,
beiseitezurücken. Ich beschließe, es nicht auf eine Auseinandersetzung
ankommen zu lassen, und gehe an ihm vorbei,
um vom Rand ins Wasser zu gleiten.
    »Mörderin«, zischt es an mein Ohr.
    Ich fahre herum. Fassungslos starre ich in Vanessas Gesicht.
    »Was?!«
    »Mörderin.« Sie sagt es tatsächlich noch einmal. »Du hast
sie umgebracht!« Ihre Stimme klingt schrill, beinahe hysterisch.
    »Und ich denke gar nicht daran, weiter mit dir im gleichen Becken
zu schwimmen!«
    »Vanessa!« Das war Tom. Ich warte auf mehr, aber mehr
kommt nicht. Ich spüre, wie alles Blut aus meinem Kopf weicht.
    Und wie die Wut in mir hochkocht. Nichts als heiße, brennende
Wut. Wut auf jeden Einzelnen von ihnen.
    »Ihr habt ja überhaupt keine Ahnung!«,

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