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Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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als sie Mary Elizabeth zum College fahren sollten. »Für dein Mädchen musst du das tun.«
    Und also kam sie mit und gab sich Mühe, so zu sein, wie sie sie haben wollten. Sie schüttelte der Mutter der Zimmergenossin die Hand. Sie ermahnte sich weiterzuatmen. Sie behielt mit einem Auge die Tür im Blick.
    Die ganze Zeit beobachtete die Mitbewohnerin sie. Dieses furchtlose, lächelnde weiße Mädchen und sein unerbittlicher Blick. Maze. Was für ein Name sollte das denn sein? Rätsel, Mysterium, Labyrinth, viele Wege hinein und keiner hinaus.
    Auf dem gesamten Heimweg nach Richmond regnete es stark. Weder sie noch George sagte ein Wort. Noch ein Kind fort, dachte sie, immer wieder. Fort und endgültig weg. Ah-fort. Oh. Gewesen, gesehen. Robert, ich war und ich sah und ich bin verloren – sag mir: Wo ist unser Zuhause?

Pilger und Fremde
    1962
    A m Ende bekam Mary Elizabeth Daniels Muddy-Waters-Platten nie zu hören. Sie hätten beide so viel zu tun, versuchte sie Maze zu erklären, die jede Einzelheit über jenen Abend wissen wollte, als sie und Daniel es nicht bis in die Turnhalle geschafft hatten.
    »Aber würdest du nicht gern noch mal mit ihm ausgehen, Mary Elizabeth?«, fragte Maze sie am nächsten Tag und danach noch ein paarmal. »Magst du ihn nicht?«
    »Doch, natürlich«, erwiderte Mary Elizabeth. Obwohl sie in Wahrheit Angst vor Daniel hatte. Er war zu klug, dachte sie, zu geheimnisvoll – und auch bestimmt nicht wirklich an ihr interessiert. Manchmal versuchte sie sich auszumalen, wie sie ihn ihrer Mama und ihrem Daddy vorstellte, konnte es aber einfach nicht.
    Außerdem war sie ab Mitte des Semesters mit anderen Dingen beschäftigt. Eines Tages bat Dr. Wendt sie auf ein Gespräch in sein Büro. »Sind Sie glücklich hier in Berea, Mary Elizabeth?«, fragte er sie.
    »Glücklich?« Und ehe sie sich noch entscheiden konnte, wie diese Frage zu beantworten war, kam er schon in Fahrt und redete schnell los. Nach Nordstaatenart.
    Denn er habe den Eindruck, sagte er, sie wäre vielleicht auf einer anderen Hochschule besser aufgehoben. Einer größeren, besseren, einer, die ihr mehr bieten könne – einer im Norden. Er selbst zum Beispiel sei Absolvent der Universität von Chicago. Er wisse von einem Stipendium dort, für das sie sich bewerben könne. Mit Freuden würde er sie dafür empfehlen. Ja, er habe sogar alle Bewerbungsunterlagen vorliegen, falls sie interessiert sei. Als Teil der Bewerbung müsse sie einen ausführlichen politischen Aufsatz verfassen. Er empfehle ihr eine längere und gründlicher recherchierte Fassung ihres Textes über Sartres Überlegungen zur Judenfrage , den sie zu Anfang des Semesters geschrieben habe. Gerne würde er ihr dabei helfen.
    Ohne weiter darüber nachzudenken und ohne jemandem davon zu erzählen, setzte sich Mary Elizabeth am nächsten Tag in die Bibliothek und machte sich ans Werk. Sie holte sich so viele Bücher über Sartre, wie sie nur finden konnte, versäumte das Abendessen und hätte beinahe vergessen, rechtzeitig in der Spülküche anzutreten.
    Während sie an jenem Abend Geschirr abtrocknete und stapelte, malte sie sich aus, als Stipendiatin irgendwo anders zu studieren. In Chicago . Die einzige größere Stadt, die sie jemals besucht hatte, war Cincinnati, und auch dort war sie nur einen Abend lang gewesen, bei dem Konzert, zu dem Tante Paulie sie mitgenommen hatte, als sie zwölf war.
    Ihre Finger kribbelten erst und schmerzten dann, doch sie unterdrückte den Drang, ein Klavier zu suchen und zu spielen, der sie immer überfiel, wenn sie froh oder aufgeregt war.
    Das musste es doch sicherlich sein, sagte sie sich – das, wozu sie bestimmt war, ein vernünftiges Ziel, im Gegensatz zu dem albernen, das sie im vergangenen Jahr zu erreichen versucht hatte. Als sie sich an jenem Abend mit einem Buch ins Bett legte, bemerkte sie, dass zum ersten Mal seit Wochen, vielleicht seit Monaten der Schmerz zwischen ihren Schultern verschwunden war.
    Sie machte langsame, stetige Fortschritte bei ihrem Aufsatz, arbeitete in den folgenden Wochen daran, gab Dr. Wendt schüchtern Entwürfe und notierte sich sorgfältig die Anregungen, die er gab. An den Wochenenden lehnte sie ab, wenn Maze, Harris und die anderen sie zu Wanderungen oder Partys einluden. Dann, gegen Ende des Semesters, legte sie die Bewerbung ein Weilchen zur Seite. Sie musste erst Ende Januar eingereicht werden, und sie hatte Seminararbeiten zu schreiben und für Prüfungen zu lernen.
    Am Morgen vor ihrer

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