Wie ein reißender Strom: Roman (German Edition)
apricotfarbene Seide schmeichelte ihrem Teint, und der dazu passende Hut und die Handschuhe gaben ihr das Gefühl, weiblich und schön zu sein. Aber Jake hatte ihr nur einen verächtlichen Blick zugeworfen, der verletzender gewesen war als eine beleidigende Bemerkung.
Sie zerrte an der Spitze am Handschuhsaum. Würde er sich wirklich davonschleichen, um seine Freundin Priscilla zu sehen, während sie in Fort Worth waren? Was konnte sie tun, um das zu verhindern? Und wie konnte sie die Herzensqualen überstehen, wenn er es doch tat?
Die Vorstellung, wie er mit einer anderen Frau zusammen war, verursachte ihr Übelkeit. Würde er eine andere Frau genauso liebkosen wie sie? Sie mit der gleichen Leidenschaft küssen? Bilder, wie er mit einer anderen namenlosen, gesichtslosen Frau schlief, zuckten durch ihren Kopf. Fest schloss sie die Augen, um sie zu verdrängen.
So sah sie nicht, wie Jake das Gebäude verließ, fluchte und sich verärgert den Hut auf den Kopf knallte, aber die jungen Männer sahen ihn. »Was zum Teufel ist denn los mit ihm?«, fragte Lee.
»Keine Ahnung, ich hoffe nur, ich bin nicht schuld«, sagte Micah leise, als Jake näher kam.
»Dieser gottverdammte Zug fährt nicht.«
»Fährt nicht?«, fragten sie alle im Chor, bevor Banner hinzufügte: »Warum?«
»Streik. Die Arbeiter haben die Schienen an etlichen Stellen von hier bis Dallas blockiert. Die Eisenbahn will Gewalt vermeiden, und es gibt keine Möglichkeit, die Streikenden von den Schienen zu bekommen, außer man schießt auf sie. Also haben sie den Zugverkehr eingestellt, bis die Angelegenheit in Verhandlungen geregelt wird. Verdammt noch mal!« Er trat mit der Stiefelspitze eine Fontäne von Kieselsteinen los.
»Was sollen wir tun?«, fragte Banner zögernd.
»Ich will verdammt sein, wenn ich das weiß.«
»Dein Termin bei Mr … Mr …«
»Culpepper«, ergänzte Jake.
»Mit Mr Culpepper ist am Freitag, nicht wahr?«
»Ja. Wir haben noch einige Tage Zeit, aber …« Plötzlich fuhr Jakes Kopf herum. Er hatte einen Einfall. »Wir reiten. Jungens, macht es euch etwas aus, draußen zu übernachten?« Er beriet sich mit Lee und Micah, die bis dahin niedergeschlagen und stumm dagestanden hatten, weil sie glaubten, ihre Traumreise würde verschoben.
»Überhaupt nicht. Stimmt’s Lee?«, fragte Micah eifrig.
»Genau!«
»Also dann in Ordnung«, sagte Jake und nickte entschlossen. »Ihr beide geht da drüben ins Geschäft und kauft alles, was wir brauchen. Dosenbohnen, ein oder zwei Pfund Schinken, etwas Kaffee, eine kleine Tüte Mehl. Eine Packung Munition. Oh, und ein oder zwei Pfannen und eine billige Kaffeekanne. Decken brauchen wir nicht, ihr könnt ja auf euren Satteldecken schlafen.« Sie nickten. »In Ordnung. In zehn Minuten komme ich zum Aufladen her. Inzwischen gehe ich zum Mietstall, da wir noch ein zusätzliches Pferd brauchen werden.«
Die beiden jungen Männer hasteten davon, ohne Banner Auf Wiedersehen zuzurufen. Jake schien sie auch vergessen zu haben, bis er herumfuhr und beinahe mit ihr zusammenstieß. Er packte sie mit seinen behandschuhten Händen an den Schultern. »Banner! Beinahe hätte ich dich vergessen. Schaffst du es allein zurück nach River Bend?«
»Natürlich.«
»Fein. Erzähl deinen Eltern, was passiert ist. Ich bekomme die Fahrkarten erstattet und kann damit die Ausgaben im Geschäft bezahlen. Möglicherweise bleiben wir ein paar Tage länger weg als geplant. Aber vielleicht fahren ja auch wieder Züge, wenn wir zurückkommen. Der Stationsvorsteher meinte, der Streik dauere nicht lange. Auf Wiedersehen.«
Er zog sie an sich und küsste sie flüchtig auf den Mund. Aber sie wusste, dass ihm das gar nicht bewusst war. Er bestieg Stormy und lenkte ihn in Richtung Mietstall am anderen Ende der Main Street, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen.
»… und bis Freitagabend sollte das Geschäftliche erledigt sein, und ihr könnt anfangen, euch zu amüsieren.« Jakes Zähne leuchteten im Feuerschein, als er den Mund zu einem breiten Grinsen verzog. »Wie hört sich das an?«
Micah schlug im Gras eine Rolle rückwärts. Lee stieß mit weit aufgerissenen Augen einen Freudenschrei aus. »Können wir auch noch Samstagabend bleiben?«
»Klaaar«, sagte Jake und streckte sich lang aus. Er lehnte sich mit dem Kopf an den Sattel, der ihm als Kissen diente. Jake gewährte diese Bitte, als sei er eine wohlwollende königliche Hoheit. »Ich habe euch doch versprochen, dass ihr euch amüsieren werdet, oder
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