Wie ein reißender Strom: Roman (German Edition)
Geheimnis mit ihm teilte. Es bildete ein Band zwischen ihnen, das nie zerreißen würde.
Jake ging den schattigen Flur entlang zur Rückseite des Hauses und klopfte an den Türpfosten. Er war genauso verlegen wie damals, als er Ross das erste Mal begegnet war. Die vergangenen Jahre und Jakes zunehmende Reife hatten die Alterskluft zwischen ihnen geschlossen. Aber sein Schuldgefühl machte ihn jetzt so nervös wie einen Jungen, der eine Tracht Prügel erwartete.
»Ross.«
Ross hob seinen dunklen Kopf. Er war gerade dabei, einen Stapel Papiere auf seinem Schreibtisch zu studieren. »Komm herein, Jake, und setz dich. Danke, dass du herübergekommen bist. Halte ich dich bei irgendetwas auf?«
»Nein.« Er setzte sich auf den Stuhl dem Schreibtisch gegenüber und versuchte, sich einen Anschein von Normalität zu geben, indem er ein Fußgelenk auf das gegenüberliegende Knie aufstützte. Er nahm seinen Hut ab und ließ ihn auf das Sofa an der Wand fliegen. »Ich habe vor, den größten Teil des Tages mit Ma zu verbringen.«
»Gut«, meinte Ross ernst. »Sie vermisst dich.«
»Ja, ich weiß.« Er seufzte. Es war nicht fair gewesen, dass er direkt nach Pas Tod weggegangen war. Aber er konnte das Farmerleben nicht länger ertragen. Bei dem Versuch, eine anständige Ernte aus dem steinigen Boden zu kratzen, der für Viehzucht wie geschaffen war, wie er seine Eltern zu überzeugen versucht hatte, wäre er verrückt geworden. Aber Ackerbau war alles, was sie kannten, und daher konnte man ihre Meinung nicht ändern.
Er fühlte sich schuldig, seine Mutter damals alleingelassen zu haben. Er war der älteste Sohn und somit für die Familie verantwortlich. Jedes Mal, wenn er Lohn bekam, hatte er Geld nach Hause geschickt, aber er wusste, dass sie ihn nötiger bei sich gebraucht hätte als sein Geld.
Er hatte ihr ein Unrecht getan. Jetzt blickte er dem Mann in die Augen, dem er ein noch größeres Unrecht getan hatte. »Weshalb wolltest du mich sehen, Ross?«
»Das Übliche. Dieselbe Sache, wegen der ich jedes Mal, wenn du nach River Bend kommst, mit dir spreche. Ein Job.«
»Meine Antwort ist die gleiche. Nein.«
»Warum, Jake?«
Jake rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Zuvor war Lydia immer der Grund gewesen. Banner hatte vergangene Nacht den Nagel auf den Kopf getroffen. Er konnte nie lange auf River Bend bleiben, weil er sie so sehr liebte. Früher oder später würde das offen zutage treten und die Freundschaft mit ihr und Ross zerstören. Das Risiko war es nicht wert. Aber jetzt hatte er einen neuen Grund. Er konnte Banner nie wieder ins Gesicht sehen.
Er allein trug die Schuld. Ja, sie war zu ihm gekommen. Sie hatte versucht, ihn zu verführen. Aber er hatte reagiert. Und er musste sich ehrlicherweise eingestehen, dass sie sich nicht sonderlich anstrengen musste. Er hatte reagiert – heftig, glühend und leidenschaftlich.
Er war der Ältere, er hätte es besser wissen müssen. Ihr Herz war gebrochen, sie war verletzt worden, brauchte Trost und Zuspruch. Sie war zu ihm gekommen und hatte das eine gesucht, aber um das andere gebeten. Obwohl er all das wusste, wusste, dass es falsch war, wusste, dass er seine Freundschaft mit den Colemans riskierte, hatte er sie genommen.
Mein Gott, wie musste sie ihn heute Morgen verachten! Als es vorüber war, war sie ängstlich vor seiner Berührung zurückgewichen. Sie hatte ihn kaum angeschaut, und als sie es tat, hatte sie den Blick eines Tieres in einer Falle. Hatte er ihr so wehgetan? Hatte sie immer noch Schmerzen? Hätte er nicht ein wenig zärtlicher sein können? O nein, er doch nicht! Nicht der Prinz der Vergnügungspaläste! Ungestüm war er über sie hergefallen. Sobald er in sie eingedrungen war, hatte er vergessen, dass sie noch eine Jungfrau und unerfahren war.
Verdammt noch mal! Sie musste ihn ja für ein Tier halten. Je eher er aus ihrem Leben verschwand, desto besser. Er würde noch ein wenig Zeit mit Ma verbringen und sich dann auf den Weg machen. Noch heute, wenn Stormy dazu in der Lage war.
»Ich kann nicht bleiben«, teilte er Ross brüsk mit.
»Das möchte ich gerne mit dir besprechen, bevor du mir deine endgültige Antwort gibst.«
»Wie du möchtest. Wir verschwenden deine Zeit, nicht meine.«
»Wie wär’s mit einem Kaffee?«
»Nein, danke.«
»Whisky?«
»Nein.« Jake grinste. »Was hast du vor, willst du mich bestechen?«
Ross grinste zurück. »Wenn das nötig ist, damit du hierbleibst. Du weißt, ich will, dass du mit mir
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