Wie ein reißender Strom: Roman (German Edition)
Augen.
»Einige.«
»Wen?«
»Keine, die du kennst.«
»Huren?«
Jake hustete, und seine Augen tränten. »Von wem hast du dieses Wort gehört?«
»Es steht in der Bibel.« Als er skeptisch die Augen zusammenkniff, gestand sie: »Von Lee und Micah.«
»Sie haben mit dir über Huren geredet?«, fragte Jake fassungslos.
»Nicht wirklich«, meinte sie abwehrend. »Aber manchmal bekomme ich eben mit, wovon sie sprechen.«
Da brüllte Jake vor Lachen. »Du kleine Lauscherin. Du solltest vorsichtiger sein«, meinte er und deutete mit der Zigarre auf sie. »Eines Tages hörst du vielleicht etwas, das du lieber nicht mitbekommen hättest.«
»Ich bin doch kein Baby. Ich kenne nicht nur das Wort, ich weiß auch, was es bedeutet. Jetzt erzähl mir doch bitte von einer Frau, die raucht. Ich wette, sie ist eine Hure. Priscilla Watkins?«
Zum zweiten Mal innerhalb von sechzig Sekunden hatte sie ihn geschockt. »Von wem hast du diesen Namen gehört?«
»Lee und …«
»Micah«, vollendete er ihren Satz. »Mein Gott, die sind ja der reinste Quell des Wissens für dich.«
Banner schlug die Augenlider nieder. »Sie haben gesagt, du kennst sie, diese Watkins, die so berühmt ist.«
Er konnte sehen, dass sie ihn unter dem verführerischen Fächer von Wimpern hervor beobachtete. In diesem Augenblick konnte er sich um nichts in der Welt an Priscillas Gesicht erinnern. Oder an das Gesicht irgendeiner anderen Frau. Er sah nur Banner, aber er achtete darauf, dass sein Gesichtsausdruck leidenschaftslos blieb. »Ja, ich kenne sie.«
»Sie haben gesagt, sie sei eine Freundin von dir.«
Er zuckte die Achseln. »Vielleicht könnte man sie so bezeichnen.«
»Aber sie ist eine Hure.«
Er lachte in sich hinein und drehte die Spitze der Zigarre am Rand der Untertasse, bis die Asche abfiel. »Definitiv ja.«
»Besuchst du sie?«
»Manchmal.«
»In ihrem Bordell?«
»Ja.«
»Und du …« Ihre Stimme sank herab zu einem heiseren Flüstern. »Du teilst mit ihr das Lager?« Sie hielt seinem Blick mit kühnem, brennendem Blick stand, der ihn warnte, sie nicht zu belügen.
»Nein.« Er sprach so ruhig und gleichzeitig so entschieden und aufrichtig, dass Banner wusste, er sagte die Wahrheit.
»Oh«, sagte sie mit schwacher Stimme.
Jake beobachtete sie genau. Er hätte schwören können, dass sie eifersüchtig war. Seine männliche Eitelkeit fragte sich, was sie getan hätte, wenn er gestanden hätte, Priscillas Geliebter zu sein. Er hatte sich heute Nachmittag wie ein Besessener benommen, als er Randys Hände auf Banner sah. Und jetzt war sie offensichtlich eifersüchtig auf Priscilla. Eifersucht zwischen ihnen war gefährlich. Und das wusste er. Je früher er diesen gemütlichen Abend beendete, desto besser. Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Ich muss …«
»Nein, warte.« Wie eine Sprungfeder sprang sie von ihrem Stuhl hoch und machte zwei rasche Schritte vorwärts. Als er sie anschaute, als habe sie den Verstand verloren, wich sie wieder einen Schritt zurück. Sie stemmte die Hände in die Taille und sagte schnell: »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Falls du … falls du Zeit dazu hast.«
»Was ist es denn?«
»Im Wohnzimmer. Ich habe ein Bild, das ich gerne aufhängen würde, und ich habe mich gefragt, ob du mir dabei helfen könntest.«
Er warf einen Blick über die Schulter auf den mittleren Raum. Eine kleine Lampe brannte in der Ecke. Das Zimmer war in anheimelnde Schatten gehüllt, genau wie die Scheune es gewesen war. Im Wohnzimmer war es auch heute Nachmittag zum Kuss gekommen. Für Jake war es besser, wenn er an all das nicht erinnert wurde.
»Ich bin nicht besonders gut im Aufhängen von Bildern«, versuchte er sich herauszuwinden.
»Na gut.« Sie machte eine kleine Handbewegung, mit der sie ihn entließ. »Du hast schon einen vollen Arbeitstag hinter dir, und es gehört wohl nicht zu den Aufgaben eines Vormanns, Bilder aufzuhängen.«
Verdammt noch mal. Jetzt dachte sie, er wollte ihr nicht helfen. Sie sah niedergeschlagen aus, enttäuscht, dass ihr Bild nicht aufgehängt würde, und peinlich berührt, weil sie ihn um Hilfe gebeten hatte und ihre Bitte abgeschlagen worden war.
»Es würde doch nicht sehr lange dauern, oder?«
»Nein, nein«, meinte sie eifrig und hob den Kopf. »Es steht alles bereit.« Auf dem Weg ins Wohnzimmer fegte sie an ihm vorbei. »Den Hammer und einen Nagel habe ich heute Nachmittag, als du weg warst, aus der Scheune geholt. Ich habe versucht, das Bild selbst
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