Wie ein Ruf in der Stille: Roman (German Edition)
Susan zu sprechen, wechselte er abrupt das Thema. Lauri wusste lediglich, dass sie Tänzerin gewesen war, eine klassische Ballerina, die sich für die Tanzformation in Grease beworben hatte und bei diesem Casting ihren späteren Mann, Drake, kennen gelernt hatte.
War sie einem Autounfall zum Opfer gefallen? Oder einem Flugzeugabsturz? Hatte sie an einer unheilbaren Krankheit gelitten? Ein Schlaganfall? Nein, der traf normalerweise ältere Menschen. Was mochte ihr wohl zugestoßen sein, zerbrach Lauri sich den Kopf.
Sie räumte das von Jennifer benutzte Geschirr in die Spülmaschine. Warf den Beutel Tacos draußen in den Müllbehälter. Im Haus war es unbehaglich still. Sie schlenderte durch die Räume, versuchte zwanghaft, sich irgendwie abzulenken, aber es funktionierte nicht. Sie zählte die Minuten bis zu Jennifers Rückkehr und schlug ihr dann vor, ein Bilderbuch
durchzublättern. Worauf die Kleine in das Unterrichtszimmer lief und mit einem Buch über die wichtigsten Transport- und Verkehrsmittel zurückkehrte.
Sie setzten sich auf das Sofa und diskutierten die Autos, Busse, Flugzeuge und Schiffe, die in dem bunt bebilderten Buch abgebildet waren. Drake war mindestens zwei Stunden oben gewesen, als Lauri seine Schritte auf der Treppe vernahm.
Sie machte sich auf das Schlimmste gefasst. Wie mochte er jetzt wohl gelaunt sein? Und wie würde er auf das Vorgefallene reagieren? Als sie ihn sah, wusste sie Bescheid.
Er war mit Bundfaltenhose, Sakko und Krawatte bekleidet. In einem derart seriösen Outfit hatte sie ihn seit seiner Ankunft in Whispers nicht mehr gesehen. In der linken Hand trug er eine Reisetasche. Über der rechten Schulter hing lässig ein Trenchcoat.
Wie benommen stand Lauri auf und legte nervös die Hände in die Taille. Heimlich hatte sie etwas in der Art geahnt.
»Lauri, ich fahre zurück nach New York«, sagte er kurz und bündig.
»Ja.«
Er löste den Blick von ihr. »Ich war lange genug hier«, fuhr er fort. Wen versuchte er damit zu überzeugen – sie oder sich selbst? »Ich muss wieder arbeiten. Ich kann nicht ewig hierbleiben.«
»Nein.« Falls er jetzt dachte, sie würde ihm um den Hals fallen oder ihm jubelnd beipflichten, war er auf dem Holzweg. So leicht wollte sie es ihm nicht machen. Sie hatte Paul damals bedrängt, sich doch von ihr helfen zu lassen. Er hatte ihr Angebot rigoros abgewiesen. Eine Zurückweisung
reichte ihr völlig. Noch einmal passierte ihr das nicht. Sie würde nicht billigen, dass Drake Salz in ihre Wunden rieb.
»Erklärst du es Jennifer?«, fragte er halbherzig, da er nicht wirklich damit rechnete, dass Lauri darauf positiv reagieren würde. Ihre Antwort erstaunte ihn dann aber doch.
»Nein, das machst du schön selbst.« Er bemerkte ihr ablehnend erhobenes Kinn und sparte sich jeden weiteren Kommentar.
Drake setzte die Reisetasche ab und kniete sich neben seine Tochter, die weiterhin in das Buch vertieft war. »Jennifer«, sagte er. Mehr bekam Lauri nicht mit. Sie lief kurz entschlossen zur Eingangstür, presste die heiße Stirn gegen das harte, kühle Holz. Das ertrage ich nicht , rebellierte sie stumm. Wenn er mich verlässt, gehe ich an gebrochenem Herzen zugrunde, stöhnte sie. Sobald sie jedoch seine Schritte sich nähern hörte, richtete sie sich auf und fixierte ihn mit einer Gefasstheit, die zweifellos nur Fassade war.
»Jennifer ist sauer auf mich, weil ich abreise. Bitte beruhige und tröste sie für mich, ja?«, meinte er. Und wer tröstet mich, lag es Lauri auf der Zunge. Ihm schien auch nicht besonders wohl in seiner Haut zu sein. Wenn sie ihn nicht schon länger gekannt hätte, hätte sie das verräterische Schimmern in seinen Augen glatt für einen Tränenfilm gehalten. Aber war er wirklich so bekümmert, weil er seine Tochter verlassen musste? Oder war das nur eine dramatische Abschiedsszene, wie er sie grandios zu spielen wusste?
»Tut mir leid, aber ich muss den Wagen nehmen. Ich organisiere am Flughafen jemanden, der ihn morgen wieder herbringt.«
Sie nickte.
»Hmm, tja, also dann mach’s gut. Wir telefonieren.« Lauri beschlich der leise Verdacht, dass ihm noch irgendetwas auf der Seele brannte. Oder? Er wollte ihr doch wohl keinen Abschiedskuss geben, überlegte sie, obwohl er intuitiv den Kopf vorbeugte.
»Auf Wiedersehen, Drake«, sagte sie tonlos und riss die Eingangstür auf.
Die Linien um seinen Mund gruben sich tiefer ein, die dichten Brauen zogen sich gedankenvoll zusammen. Missmutig seufzend schob er sich an ihr
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