Wie ein Ruf in der Stille: Roman (German Edition)
vergessen, und das sollte er auch gar nicht. Lauri wollte doch nur, dass er wieder fähig wäre zu lieben – und sich in sie verliebte. Hatte schon fast an einen Erfolg bei ihm geglaubt. Aber sein Gesichtsausdruck beim Betrachten der Bilder seiner geliebten Susan … Und die auf dem Schlafzimmerteppich verstreuten Kleidungsstücke mussten ihn unmittelbar an die Frau erinnert haben, die diese Sachen getragen und in ihnen getanzt hatte. Der Schmerz stand ihm regelrecht ins Gesicht geschrieben. Dachte er etwa, er hätte Susan betrogen, weil er mit ihr, Lauri, geschlafen hatte? War er deshalb Hals über Kopf abgereist?
Sie versuchte krampfhaft, diese bohrenden Gedanken in den hintersten Winkel ihres Gehirns zu verbannen. Aber es nützte alles nichts, sie blieben hartnäckig gleichsam wie eine quälende Folter. Die süße, kleine Jennifer war ihr einziger Trost und Halt. Hätte sie das Kind nicht gehabt, wäre sie verrückt geworden. Zumal Drakes Tochter sie mochte und ihre Gefühle vorbehaltlos erwiderte. Lauri mochte gar nicht daran denken, wie hart es für sie und das Kind werden würde, wenn sie wegginge.
Weggehen? O ja, sie würde gehen müssen , falls Drake zurückkäme.
Sie konnten ihre Beziehung nicht weiterführen wie bisher. Als seine kleine Affäre, die mit ihm Sex hatte, wann immer ihn die Lust überkam. Paul hatte sie seinerzeit auch nicht viel mehr bedeutet, und wie das endete, wusste sie schließlich am allerbesten.
Vermutlich würde sie abwarten müssen, wie Drake reagierte und wie er sich die weitere Zusammenarbeit vorstellte. Jennifer schickte er ein oder zwei kurze Briefe pro Woche, für sie war nichts dabei. Nicht ein Wort. Er rief auch nicht an. War sie ihm derart egal, dass er sie augenblicklich wieder vergessen hatte?
Zwei Wochen vergingen, drei, dann vier. Das schlechte Wetter nötigte sie dazu, die meiste Zeit im Haus zu verbringen. Sie malten mit Wasserfarben; sie schnürten Perlen; sie backten, bis die Gefriertruhe von Keksen und Gebäck überquoll.
Eines Tages, als sie eben einen Kuchen mit Schokoglasur bestrichen hatten, fragte Lauri Jennifer, was sie davon hielte, John Meadows zu besuchen und ihm ein Stück vorbeizubringen. Jennifer nickte begeistert.
Es war ein klarer Tag, aber klirrend kalt. Also kuschelten sie sich in ihre dicken Wintermäntel und stapften in den Ort. John arbeitete in seinem Laden, der um diese Jahreszeit wie ausgestorben war. Da Whispers kein ausgewiesenes Skigebiet war, fuhren die Touristen lieber in Orte, wo es ausreichend Lifte, Pisten, Berghütten und Möglichkeiten zum Après-Ski gab.
Er freute sich, die beiden zu sehen. Da er an diesem Tag nicht mehr mit Kunden rechnete, schloss er das Geschäft und bat sie in seine Wohnung im hinteren Teil des Hauses.
»Hier, Jennifer«, sagte Lauri. Sie schob der Kleinen ein großes Stück Kuchen hin. »Gar nicht so einfach, um diese Jahreszeit sinnvolle pädagogische Konzepte zu entwickeln«, entschuldigte sie sich. »Jennifer backt für ihr Leben gern, aber wenn wir das alles selber essen, sind wir im nächsten Frühjahr rund wie Mozartkugeln.«
Mit einem verständnisvollen Lächeln drehte John sich vom Herd um, wo er für Lauri einen blauen Emaillebecher mit Kaffee gefüllt hatte.
»Ich sterbe für leckeres Gebäck. Nochmals vielen, vielen Dank, aber es wäre wirklich nicht nötig gewesen. Ich freue mich auch so über Ihren Besuch.«
»Wurde auch allmählich mal wieder Zeit. Seit Drake …« Sie unterbrach sich mitten im Satz. Seit Drakes Abreise, hatte sie eigentlich sagen wollen, hatten wir kaum noch Lust, irgendetwas zu unternehmen. Betreten senkte sie den Blick und pustete in ihren Kaffeebecher, damit der Inhalt schneller abkühlte.
»Lauri, wie fühlen Sie sich, seit er wieder fort ist?« Er hatte sehr leise gesprochen, trotzdem vermochte sie die Frage nicht zu ignorieren. Sie sah auf, während John zu ihnen an den Tisch kam, einen Becher Kaffee in seiner zupackenden Hand.
»Er … ich …«, stammelte Lauri. Sie versuchte, ihre innere Zerrissenheit zu überspielen, indem sie eine Hand nach Jennifer ausstreckte und ihr die wilden Locken zurückstrich, die sich verdächtig nah um den schokoladenverschmierten Mund ringelten. Die Kleine musterte ihre Lehrerin – sie hatte die Augen ihres Vaters geerbt – grün, mit dichten, dunklen Wimpern umkränzt. Unvermittelt
schmerzvoll an ihn erinnert, spürte Lauri, wie sich ihr Blick mit Tränen trübte.
»Möchten Sie nicht darüber reden?«, fragte John. Er
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