Wie ein Ruf in der Stille: Roman (German Edition)
vorbei. Sie schloss die Tür hinter ihm.
Als wäre das nicht genug, ballten sich bleigraue Wolken über den Bergrücken zusammen, hingen schwer über dem Städtchen Whispers. Sie brachten den ersten Schnee. Gleichwohl vermochte die strahlendweiße Schneedecke die Bewohner des Hauses nicht von ihrer depressiven Stimmung zu befreien.
Jennifer war so niedergeschlagen, dass sie sich auf nichts richtig konzentrieren konnte, und Lauri erlaubte ihr schließlich, ein paar Stunden fernzusehen.
Als es Zeit zum Schlafengehen wurde, klemmte das kleine Mädchen sich Bunny unter den Arm und stapfte nach oben. Wieder und wieder plapperte sie mit ihrer süßen, aber nahezu unartikulierten Stimme: »Dau-dy, Dau-dy.« Tränen rollten über ihre rosigen Wangen. Das war zu viel für Lauri. Sie legte sich zu Jennifer in das schmale Bett und drückte sie innig an sich.
So weinten sich die beiden in den Schlaf.
13
A m nächsten Morgen hatte sich der Schmerz über Drakes plötzliche Abreise schon etwas gemildert. Die Zeit heilt vermutlich alle Wunden, seufzte Lauri mit einer gewissen Erleichterung. Jennifer sprang übermütig aus dem Bett, staunte über den frisch gefallenen Schnee und konnte es kaum erwarten, im Freien herumzutollen. Und Lauri versuchte, sie, so gut es eben ging, den ganzen Tag bei Laune zu halten. Seit Drake fort war, schienen sich die Stunden endlos hinzuziehen.
»Kaum zu fassen, dass er so schnell nach eurer Hochzeit schon wieder wegmusste«, stellte Betty von ihrem exponierten Platz auf dem Küchenhocker aus fest. Lauri überwachte eben die Herstellung von frischem Popcorn. Die Kinder stopften sich das süße Zeug händeweise in den Mund und klebten höllisch von dem Sirup, den sie nicht einmal abkühlen ließen.
Lauri verkniff sich eine spitze Bemerkung, zuckte stattdessen wegwerfend mit den Schultern und sagte: »Er hat einen Job, Betty. Er musste zurück zum Dreh.«
»Ich weiß, aber trotzdem … Sie müssen doch zugeben, dass ein solches Verhalten merkwürdig ist für einen Mann in den Flitterwochen.«
Nur dass Drake eben nicht wirklich in den Flitterwochen war, sinnierte Lauri. Unterdes las Betty zum dritten Mal die Exklusivstory in The Scoop Sheet .
Sie hatte die Zeitschrift am Morgen im Supermarkt erstanden und sie gleich Lauri gebracht. Das strahlende Paar auf der Titelseite war für Lauri der blanke Hohn. Sie hatte gar nicht wissen wollen, was in dem Artikel stand, aber Betty hatte ihn ihr laut vorgelesen. Gottlob hatte sie über der Lektüre nicht bemerkt, wie Lauri dabei stumme Tränen über die Wangen gerollt waren. Was Drake wohl von dieser getürkten Geschichte halten mochte? Ob er sie überhaupt gelesen hatte?
Lauri wusste zwar nicht recht, wieso, aber sie mochte ihrer Nachbarin auf gar keinen Fall enthüllen, dass sie und Drake nicht wirklich verheiratet waren. Betty hätte die Problematik der Situation nämlich nicht begriffen und sie mit quälenden Fragen gelöchert. Weshalb es bei weitem vernünftiger war, sie genau wie die Parrishs noch eine Weile im Unklaren über den tatsächlichen Sachverhalt zu lassen, befand Lauri.
Früher oder später würden sie die Wahrheit sowieso erfahren. Und dann würde sie sich wie eine absolute Idiotin vorkommen, die sie ja jetzt bereits war. In den Tagen nach ihrer Scheinhochzeit war sie fast überzeugt gewesen, dass Drake genauso verliebt in sie gewesen wäre wie sie in ihn. Er war wahnsinnig liebevoll zu ihr gewesen, scheinbar besessen von der Vorstellung, sie glücklich zu machen.
Dabei hätte sie sich vielleicht lieber vor Augen führen sollen, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente. Er bekam schließlich einen Haufen Geld dafür, dass er seinem begeisterten TV-Publikum Nachmittag für Nachmittag große Gefühle vorspiegelte. Und wenn seine aktuelle Rolle ihm abverlangte, dass er sich wie ein verliebter Bräutigam aufführte, dann spielte er eben den verliebten Bräutigam – und das verteufelt gut. Darüber hinaus war er oben, in dem breiten
Ehebett, jede Nacht auf seine Kosten gekommen. Mehr hatte er vermutlich gar nicht von ihr gewollt.
Impulsiv errötete sie vor Ärger und Scham. Er hatte ihr zu Anfang ihrer Beziehung auf den Kopf zu gesagt, was sie erwarten durfte. Aber nein, sie war ja so verbohrt gewesen zu glauben, dass sie ihn ändern könnte, dass er irgendwann mehr für sie empfinden würde als körperliches Verlangen.
Sie hatte es ja gar nicht darauf angelegt, dass er Susan vergaß! Er würde seine verstorbene Frau niemals
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