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Wie Feuer im Regen

Wie Feuer im Regen

Titel: Wie Feuer im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Oliver
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Renovierung der Wandverkleidung zufällig den Öffnungsmechanismus ausgelöst hat.“ Jamie schloss die Tür hinter sich und Anne sah sich um. An einer Seite befand sich ein in die Wand eingelassenes Bücherregal in dem sich Buchrücken an Buchrücken ledergebundene Ausgaben alter Werke reihten.
    „ Die Bücher waren schon hier. Ich habe sie einfach so gelassen. Sind sie nicht toll?“
    Die Begeisterung in Jamies Stimme gefiel Anne. Vorsichtig nahm sie einen schmalen Band heraus. Es handelte sich um eine alte Ausgabe von „Hymnen an die Nacht“, eines Gedichtbandes von Novalis, in dem er den frühen Tod seiner Braut beklagt. Sie schlug die erste Hymne auf. Während ihres letzten Jahres in St. Margarets hatte sie Tante Martha darum gebeten, ihr dieses Buch zu schicken, nachdem sie im Internet auf die tragische Lebens- und Liebesgeschichte von Novalis und seiner jungen Verlobten gestoßen war. Für Anne war es tröstlich gewesen, die wehmütigen Bilder, die der Dichter mit seinen Worten erschuf in ihrer eigenen Sprache zu lesen. Allabendlich, wenn ihr Gewissen sie nicht schlafen ließ, weil die widerlichen Dinge, zu denen Poffy sie zwang sich in ihrem Hirn festgefressen hatten, schlug sie den kleinen zerlesenen Band auf. Die mit Bedacht gewählten Worte löschten den Schmutz in Annes Alltag aus und beruhigten sie so weit, dass sie schließlich schlafen konnte. Jede Nacht.
    Mit ihrem Weggang von St. Margarets hatte sie beschlossen, dass sie es von nun an schaffen würde, ohne die Hilfe von Novalis einzuschlafen. Bevor sie in den Zug nach London gestiegen war, hatte sie ihre Ausgabe mit zitternder Hand und Tränen in den Augen in einen Mülleimer am Bahnhof geworfen, als letztes Relikt einer schrecklichen Zeit, die nun zu Ende war.
    Und tatsächlich war es ihr geglückt, ein neues Leben zu beginnen. Zumeist schlief sie auch gut. Nur selten wurde sie noch von Alpträumen geplagt und schon seit langer Zeit hatte sie nicht mehr an die „Hymnen der Nacht“ gedacht.
    „Du sprichst Deutsch? Kannst du das lesen?“, fragte Jamie, nachdem Anne gedankenverloren weiter in das Buch starrte.
    Schnell schlug sie es zu und stellte es zurück an seinen Platz. „Ja. Aber ich habe es vor vielen Jahren gelernt und schon sehr lange nicht mehr gesprochen.“ Das war fast keine Lüge. „Außerdem verstehe ich dieses hochtrabende Zeugs sowieso nicht.“
    Sie holte tief Luft und sah sich weiter um.
    Neben dem Regal stand ein mit Intarsien verzierter zierlicher Sekretär aus Nussbaumholz. Die Klappe war geöffnet und Anne bemerkte, dass Jamie auch an seinem Rückzugsort offenbar nicht ganz auf Technik verzichtete. Ein iPad und ein Telefon nahmen etwa die Hälfte des Schreibtisches ein, die andere Hälfte beherbergte ein schweres schwarzes Notizbuch, einige dicke Füllfederhalter und in den Fächern lag cremefarbenes Büttenpapier.
    Der restliche Platz im Raum wurde von einem bequem aussehenden dunkelbraunen Ledersofa beansprucht, das sicherlich schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Es stand unter einem großen Ölgemälde, auf dem eine Jagdszene dargestellt war, vor einer auberginefarbenen Wand.
    „ Das scheint sehr gemütlich zu sein. Ich wette, du bist schon des Öfteren auf dieser Couch eingenickt und hast verschlafen.“
    „ Oh ja. Und zwar zahlreiche Termine. Deshalb ließ ich schließlich das Telefon einbauen, damit man mich wenigstens aufwecken kann, wenn ich unauffindbar bin. Aber das ist noch nicht alles, was ich dir zeigen wollte.“
    Bevor Anne sehen konnte, was genau Jamie tat, hatte er einen weiteren geheimen Mechanismus ausgelöst, das gesamte Bücherregal schwang lautlos zur Seite und gab den Blick auf einen engen Gang frei.
    „Ich darf voraus gehen?“Er war bereits hinter dem Regal verschwunden und wartete auf sie.
    Sobald auch Anne den nur sehr spärlich beleuchteten Korridor betreten hatte, schloss sich die Tür hinter ihr, so dass ihr gar nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen.
    Sie war begeistert. Genau so hatte sie sich alte englische Herrenhäuser immer vorgestellt. Mit verborgenen Zimmern, Priesterlöchern und Geheimgängen. Fehlte nur noch ein Gespenst!
    „ Wir sind da.“
    Am anderen Ende verbarg ein schwerer weinroter Vorhang die in der Wand eingelassene Tür, den Jamie nun für sie zur Seite schob. Erstaunt stellte sie fest, dass sie sich in einer der Logen des Theaters befanden, als sie hindurchgetreten war.
    „Das ist mein zweites Geheimnis“, sagte er leise und Anne fiel erst jetzt auf,

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