Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
super. Das hat uns gefehlt! Und dann findet Maja doch noch ihre Schirmmütze irgendwo im Rucksack, wir zippen unsere Hosen kurz, krempeln die Socken runter und in viel besserer Stimmung gehen wir wieder hinaus, in die Gassen, in die Hitze. Es ist sehr warm geworden, eigentlich schon zu heiß zum Laufen, doch die schöne Umgebung lohnt die Pein. Immer wieder bleibe ich stehen und schaue umher, über gewellte Felder, zwischen denen Gehöfte und Dörfer liegen, grüne Wiesen, Flüsse, Bauminseln. Straßen verlieren sich in der Weite, in der sich die Bergkette der Kantabrischen Kordillere über allem erhebt. Wie eine unwirkliche Kulisse, die ein Riese dort hingestellt hat, schroff im Sonnenlicht flimmernd.
Es duftet nach Sommer, Kiefern und gelegentlich nach Salbei. Wir klettern auf furchigen Pfaden abseits der Autostraßen über kleine Anhöhen und in Flusstäler hinunter, bis wir ausgelaugt in einen Mandelbaumhain krabbeln, um unter tief hängenden Zweigen im Schatten Mittagsschlaf zu halten. Das tut gut, obwohl der Boden pieksig ist, doch wir haben Schatten und Ruhe nötig.
Bäuche und Taschen voller Mandeln steigen wir zurück auf den Weg. Eidechsen huschen über die warmen Bruchsteinmauern, und ein seltsames kleines Tier krabbelt an einer der Wände senkrecht empor. Es sieht einem schlanken Frosch ähnlich, sein Kopf ist ganz rund, die Augen groß, und es bewegt sich mit langen, schlanken Armen und großen Händen greifend langsam vorwärts. „Ich finde, dass es wie Gollum aus ,Der Herr der Ringe’ aussieht. Warum kann es nicht Gollum sein, was wissen wir denn wirklich?“ Maja meint, dass ich einen Sonnenstich habe und treibt mich weiter. Auf eine schreckliche Straße, Richtung Viana, das auf einem Hügel vor der Ebro-Senke liegt.
Die letzten Kilometer mit dem Ziel vor Augen sind kein Vergnügen, und sogar im Ort müssen wir uns quälen, über Treppen und Rampen zur Altstadt hinauf auf die Sirga Peregrinal, an deren Ende neben einer Kirchenruine die allerschönste Herberge steht. In einem ehemaligen Kloster, kühl hinter dicken Mauern, ruhig und groß, mit mehreren hohen Schlafsälen, in denen Dreifachstockbetten stehen, das oberste in etwa 3 Meter Höhe! Oh Wonne, wir haben’s geschafft, finden sogar freie untere Betten und plumpsen hinein. Und wieder habe ich das unbeschreibliche Wohlgefühl beim Ausstrecken und Eindösen, dass niemand ermessen kann, der es nicht selbst erlebt hat. Erst als die Bettgestelle beben, öffne ich die Augen wieder. Zwei ältere Amerikaner klettern skeptisch witzelnd nach oben, ihre Ehefrauen schauen ihren Helden bewundernd zu, kreischen, prusten, zertösen unsere Idylle. „Komm Maja, wir gehen einkaufen.“
Schön ist es hier, in den autofreien Gassen mit dem Nebeneinander von Touristentrubel und dem Leben der Einheimischen. Wir laufen um alle Ecken, von einer Welt in die andere. Von überfüllten, lauten Plätzen vor Bars in schmale, dunkle Hausreihen, in denen Vogelbauer vor den Türen hängen, Kinder spielen und Arbeiter von Schaulustigen angefeuert Baumaterial auf ein Hausdach wuchten. Und nette Geschäfte gibt es, in denen es penetrant nach Trockenfisch stinkt, wir aber trotzdem Fleisch und Gemüse einkaufen, um uns in der Klosterküche wieder selbst zu bekochen. Wir sind nicht mehr zimperlich.
Und nun sitze ich hier, auf diesem unbeschreiblich schönen Platz, dem Balkon der Stadt gleich neben unserer Herberge. Habe die Sonne hinter der Kordillere untergehen sehen und schaue jetzt ins weite Ebro-Becken hinunter, auf die klitzekleinen Städte, in deren Fenstern das Abendrot reflektiert. Von orange bis violett. Ich mag nicht den Blick abwenden, um zu schreiben, mag nicht mit anderen reden, will die Stille genießen. Doch als der Wind auffrischt, rücken wir zusammen: Eine junge Frau mit einem geschwollenen Knie, die nur drei Tage unterwegs war und morgen aufgeben wird. Und Ursula, eine ältere Deutsche, die so viele Blasen hat, dass sie ein paar Tage pausieren muss. Da danke ich Gott, dass es mir leidlich gut geht, ich es bis hierher geschafft habe und erst seit heute mein Knie und meine Schulter schmerzen.
Durch La Ríoja von Logroño bis Santo Domingo de la Calzada
Santiago Matamoros
Viana — Logroño — Navarrete > 23 km
Kann ein Tag friedlicher anfangen als in diesem ehemaligen Refektorium? Auch wenn die Frühstücksmusikanten keine Mönche, sondern spanische Pilger sind, und ihr Gesang das Pilgerlied ,Ultreia’ statt eines Chorals. Schön, dieser ruhige
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