Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
wieder falsch und als Zumutung, weil ich anscheinend zur falschen Zeit Falsches sage. Wie zu Hause.
Erst als wir über rote Erde durch Weinfelder gehen und ein Bauer mich heranwinkt, eine dicke blaue Traube mit einem sichelförmigen Messer von einer Rebe schneidet und mir in die Hand legt, fühle ich mich langsam besser und geehrt, hebe wieder den Kopf und beginne den Tag und mich zu lieben.
Und entledige mich endlich des Wanderstocks, den Maja für mich mitgebracht hat und den ich nicht brauche und nur noch aus scheinbarer Verpflichtung mit mir herumtrage. Ein Paar neben dem Weg stehen gelassene neue Wanderstiefel ermutigen mich, ihn in einen Mandelbaum zu hängen. Soll sich jemand anderes daran freuen, wie auch an meinen warmen 15-Euro-Wandersocken von zu Hause. Ich habe sie in der Herberge liegen lassen, will nichts Überflüssiges mitschleppen.
Viele Kilometer durchqueren wir Weinfelder, wechseln nur gelegentlich über die Nationalstraße und sind froh, als wir einen Hinweis auf einen abseits gelegenen Ort entdecken, weil längst Cafézeit ist.
Ventosa ist einer der zusammengerotteten Häuserhügel mit einer Kirche obendrauf, die Straße fegenden alten Frauen, einer herumlaufenden Stromableserin und einem geölten Machogroßvater, der lässig die schmucklose Straße auf und ab tigert. Haus reiht sich an Haus, und in einem von ihnen entdecke ich zufällig den Dorfladen, weil in einem Fenster zwischen Gardinen Brote liegen. Jetzt bin ich schon so mutig, dass ich selbstverständlich eintrete, in einen schmalen Gang, in dem Frauen vor einer Glasscheibe schwatzen, hinter der eine laute Frau zwischen Fernseher und Häkeldeckentischchen Obst, Schinken und Konserven verkauft.
Ich beobachte das Szenario, höre zu, genieße es, Zeit und keine Pflichten zu haben und einige Kleinigkeiten einzukaufen, Zutaten für mein erstes selbst belegtes Bocadillo, das ich bei Maja am Cafétisch verspeise. Die Stimmung zwischen uns hat sich verändert, wir sind leicht bedrückt und behandeln uns sehr vorsichtig. Gut, dass ich kurz darauf in der Kirche eine belgische Pilgergruppe bei ihrer Andacht treffe. In diesem schönen Raum vor der hohen, goldenen Altarwand mit ihnen zu singen und zu beten macht mich friedlicher und weicher.
Unterhalb des Kirchenhügels breitet sich fruchtbares Land aus, nichts als Weite und Weinfelder, nur am südwestlichen Horizont zeichnen sich die Berge der Sierra de la Demanda ab. Es ist schon wieder heiß, nirgendwo gibt es Schatten zum Rasten, doch wir brauchen Ruhe und legen uns zwischen die letzten Sommerblüten und Millionen Fliegen ins Gras. Decken uns mit allem zu, was wir haben, aber die Viecher finden überall Lücken in unseren Hüllen und nerven. Diesmal bin ich belastbarer, bin von Afrika Schlimmeres gewohnt, doch Maja hält das nicht aus und will weiter. Und da bin ich abermals bei meinem Thema: Wie gehe ich mit der Befindlichkeit anderer um, wenn ich davon betroffen bin? Was will und kann ich akzeptieren und wie sorge ich für mich?
Als uns der Pfad in eine Heidelandschaft führt, kann ich von meinen Gedanken ablassen, staunen und mich freuen: Irgendwann wurde irgendjemand durch das helle Geröll am Wegrand animiert, daraus Steinmännchen aufzuschichten, und andere haben es nachgemacht. Jetzt ist der Weg von Steinmännern, — frauen und — kindern gesäumt, kilometerweit stehen unzählige, in allen Höhen und Größen, über- und nebeneinander. Rührend witzig. Ich baue auch ein kleines neben eine Gruppe, damit es nicht einsam ist.
Wir haben verabredet, heute bis Nájera zu gehen, doch als wir an einem ausgetrockneten Flussbett die Abzweigung dorthin erreichen, ist es erst 13 Uhr. Ich fühle mich noch frisch und schlage Maja vor, weiterzugehen. Nein, das will sie nicht und sie hat Recht, gesagt ist gesagt. Ich stecke zurück, mit zusammengebissenen Zähnen. Gehe mit ihr in eine schauderhafte Vorstadt, dreckig und laut, endlose Straßen lang, und meine Laune wird richtig schlecht. Kurz bevor wir von Auspuffgasen vergiftet sind, kommen wir um eine Kurve — und vor uns liegen grüne, liebliche Flussauen und dahinter die Altstadt von Nájera vor den tief roten Sandsteinwänden der umliegenden Berge. Welch ein Kontrast! Der Fluss plätschert sauber unter der Brücke, freundliche Menschen promenieren durch gepflegte Gassen mit eleganten Geschäften, und das Kloster San María Real, in dem sich die Herberge befindet, ist ein beeindruckender Bau an einer schattigen Plaza. Aber das freut mich
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