Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Tagesbeginn. Selbst das Warten ist heute schön. Ich freue mich am Vollmond in der Morgendämmerung über der Kordillere und habe Zeit für Morgengymnastik in der Kirchenruine, bin herrlich allein auf der Welt.
Die Hospitalera rasselt schon mit den Schlüsseln, als Maja missgestimmt die Herberge verlässt. Es geht ihr auch heute nicht gut, doch neben Mitgefühl für meine Begleiterin spüre ich, dass mich das Rücksichtnehmen nervt. Aber was soll ich tun? Ich versuche geduldig zu sein, und zwischen uns entwickelt sich endlich eine sehr notwendige Diskussion, in der wir unsere Verschiedenheit in Temperament und Belastbarkeit feststellen — und dass wir beide irgendwie unzufrieden sind.
Darüber haben wir fast die gesamte Strecke nach Logroño zurückgelegt, haben die Industrievororte schon hinter uns und steigen einen steilen Weg zwischen Obstplantagen zum Ebro hinab. Irgendwo haben wir auch die Grenze zwischen den Regionen Navarra und La Ríoja überschritten und sind nun in der Hauptstadt des bekanntesten Weinbaugebietes Spaniens. Seit 900 Jahren überqueren Pilger den Ebro hier, über die Brücke Puente de Piedra, und haben die Stadt zum Aufblühen gebracht. Heute ist sie reich durch den Weinbau.
Und geschäftig. Unter den Arkaden des zentralen Marktplatzes vor der Kathedrale wimmelt es von Menschen, die in Restaurants ihren Morgenwein trinken und durch alle Arten von Geschäften bummeln. Hoffentlich gibt es hier auch einen Schuhmacher. Der ist mir viel wichtiger als die Kathedrale hinter einem Baugerüst, von der nur die Türme mit vielen Storchennestern zu sehen sind.
Mein rechter Schuh hat einen Riss und muss repariert werden, doch wie kann ich eine Werkstatt finden? Ich werde einfach Passanten fragen. Aus Majas Wörterbuch hab ich einen Satz zusammengestoppelt, aber anscheinend spreche ich ihn falsch aus oder sollte keinen Mann fragen. Auf mein „Perdón Señor, dónde está una zapatería?“, werde ich nur erstaunt angesehen. Wahrscheinlich haben die Herren nur nicht genug Phantasie, mein Spanisch zu deuten, oder sie haben noch nie im Leben Schuhe zur Reparatur gebracht. Also frage ich Frauen, doch jetzt bin ich ratlos. Meist kommt ein Wortschwall zurück oder Gegenfragen, in denen „Zapatero para reparación?“ vorkommt, und die ich nach kurzem Kombinieren mit „sí“ beantworte, ohne sie wirklich zu verstehen.
Nach viel Mut, Verlegenheit und Lachen gelingt das Abenteuer, ich folge Handzeichen nach links und an der zweiten Ecke nach rechts und stehe vor einer Werkstatt. „No, no “, gleich reparieren geht nicht, „sehen Sie nicht die Berge von Arbeit?“ Um das zu verstehen, brauche ich keine Spanischkenntnisse, aber ich kann mit dem Schuh nicht weiter und bleibe hartnäckig, erwähne, dass ich auf dem Weg nach Santiago de Compostela bin. Da wendet sich mir die elegante, goldbehängte Chefin lächelnd zu, greift meinen Schuh und näht ihn für zwei Euro. Danke, liebe Dame und danke, Sankt Jakobus.
Jetzt nur noch ein paar dünne Wandersocken kaufen und wir können die Stadt verlassen. Durch düstere Handwerkergassen und über den Plaza San Pablo, der mit einem Mosaik ausgelegt ist, welches die berühmtesten Stationen des Jakobsweges von Roncesvalles bis Santiago abbildet; zum pompösen marmorverkleideten Pilgerbrunnen und der gegenüberliegenden berühmten Kirche Santiago, in der uns unser Heiliger das erste Mal in seiner anderen Rolle begegnet: als Santiago Matamoros, der Maurentöter. Ein monumentales Relief am Portal der Kirche zeigt ihn als den kämpfenden Ritter der Legende:
Der asturische König Ramiro I. kämpfte 844 in Clavijo nahe Logroño glücklos gegen eine Übermacht der Mauren, als ein Reiter auf einem weißen Pferd, der eine weiße Fahne mit rotem Kreuz trug, in die Schlacht eingriff die Feinde verjagte und den Christen zum Sieg verhalf. Es war Sankt Jakobus, der Bewahrer des Glaubens.
Tatsächlich glaubten die Menschen des Mittelalters, dass ihr Schutzheiliger ihnen auch in der Reconquista beistehen würde, und setzten in den vielen folgenden Kriegen dem ,Allah-u-akhbar’ der Mauren den Schlachtruf ,Santiago’ entgegen. Und groteskerweise hat sich tausend Jahre später General Franco ebenfalls des Heiligen Jakobus’ bedient, um die Legendengestalt Santiago Matamoros als Symbol für seinen Freiheitskampf zu instrumentalisieren.
Durch ein Stadttor verlassen wir die Altstadt, indem wir großen, blauen Wegweisern mit der Jakobsmuschel folgen. Durch Wohnstraßen,
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