Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Industriegebiete, unter Schnellstraßen und über einen langen Wiesenweg zu einem Stausee, dem Naherholungsgebiet von Logroño, wo wir auf Bänken unter einer Marienstatue Siesta halten. Und von dort nehmen wir einen Weg parallel zur Nationalstraße 120, nur durch einen Maschendrahtzaun von ihr getrennt. Laut und stinkig ist es hier und warm sowieso, und mich drängt es, von hier weg zu kommen, schneller zu gehen. Ich frage Maja, was sie davon hält, wenn ich die letzten Kilometer bis Navarrete, unserem heutigen Ziel, vorauslaufe. Natürlich biete ich ihr an, ihren Pilgerpass mitzunehmen und für sie ein Bett zu reservieren, das beruhigt mein Gewissen.... Für sie ist es in Ordnung! Erleichtert rücke ich den Rucksack zurecht und walke los, muss aber doch noch einmal langsamer werden.
Aus Holzabfällen eines Sägewerks am Weg haben Pilger Tausende von großen und kleinen Kreuzen in den Zaun zur Straße geflochten, hunderte von Metern Kreuze über Kreuze, rührend und beeindruckend. Ich gehe langsam vorbei und schaue nur zu, wie die Wanderer vor mir diese Gemeinschaftsarbeit fortführen und den außergewöhnlichen Anblick fotografieren, während direkt dahinter Autokolonnen vorbeirasen. Ich will laufen und ich laufe. Marschiere sportlich, so schnell ich kann, bis mir der Schweiß in Strömen über den Körper läuft. Spüre meine Kraft wie noch nie vorher auf dieser Reise, fühle mich glücklich dabei, lustvoll, spüre mich.
Erst am Ortseingang von Navarrete werde ich langsamer, wende meinen Kopf kaum zu den Ruinen des ehemaligen Pilgerhospizes hinüber, ich will nur ans Ziel. In die Herberge und duschen. Ich habe mehr Glück als die beiden Spanierinnen, die gerade ihre Rucksäcke in ein Taxi heben, als ich die Herberge erreiche. Sie werden fortgeschickt, denn hier dürfen nur Pilger übernachten, die mehr als zwanzig Kilometer zurückgelegt haben — ich habe das Soll erfüllt. Freundlich werde ich in ein helles Zimmer gebracht, in dem sich gerade die beiden amerikanischen Ehepaare aus Viana einrichten. Eine der etwa sechzigjährigen Damen sitzt selbstbewusst auf einem Stuhl und lässt sich wie selbstverständlich von ihrem vor ihr knienden Mann die Füße pflegen. Und der tut es selbstbewusst und selbstverständlich. Fasziniert beobachte ich die Frau, die einfach annehmen kann. So wäre ich auch gern.
Zur Übung lass ich mich auf einen Drink einladen, vom anderen amerikanischen Ehemann, der freimütig auf mich zugeht und offen erzählt: „Wir wollen nicht nach Santiago, sondern wandern nur zwei Wochen zwischen Pamplona und Burgos, nutzen die günstigen Herbergen auf dem Camino und wollen danach an die Küste fahren. Weil Reisen geistig fit hält, wie mein 90-jähriger Vater sagt.“
Majas Ankunft unterbricht uns. „Schön, dass du es geschafft hast!“ — Mein freundlich gemeinter Empfang ist offenbar missglückt, sie reagiert bissig auf mein Willkommen.
Da entferne ich mich, gehe durch die schmalen Gassen am Hang. Grüße uralte Leutchen auf einer Bank, die mich schweigend misstrauisch mustern, gerate in überbaute, winkelige Gänge, finde alles fremdartig und lande schließlich in der stillen Barockkirche. Ein Spanier knipst für mich das Licht an und lässt mir Ruhe zur Andacht.
Es gelingt mir heute nicht, abzuschalten, die Gedanken loszulassen und mich mit Gott verbunden zu fühlen. Doch ich werde ruhiger und versöhnlicher, gehe zu Maja zurück, und wir massieren uns gegenseitig Schultern und Rücken. Danach geht’s uns beiden gleich viel besser.
Irgendwie sind wir ja auch aufeinander angewiesen.
Ärger und Freude
Navarrete — Nájera > 18,5 km
Glaub nur ja nicht, dass meine Welt heiler gewesen ist, wenn ich es geschafft hatte, ein unteres Bett zu ergattern: In dieser Nacht wälzte sich ein Drei-Zentner-Spanier schnarchend über mir und brachte unser Bettgestell zum Schwanken und Krachen. Dementsprechend war ich unausgeschlafen und dünnhäutig, und konnte den Affront vom Vortag nicht verwinden. Du kennst mich ja, ich kann nicht einfach Missklänge auf sich beruhen lassen, musste Maja noch einmal auf gestern ansprechen. Ihr sagen, dass ich mir wünsche, dass sie mein Mitgefühl schätzt. Sie versuchte ihre Reaktion zu erklären, wir landeten beim ,Eltern-Ich’ und in einer psychologisch überhöhten Debatte, sprachen über das Gleiche und verstanden einander überhaupt nicht. Zudem war sie verärgert über „unsere ständigen morgendlichen Diskussionen“. Und natürlich fühlte ich mich da
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