Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
lang gezogenen Straßendörfer.
Sind wir tatsächlich schon 6 Kilometer gegangen? Das bedeutet einkaufen, denn auf den nächsten 16 Kilometern wird es keinen Ort geben und heute ist Samstag, da könnten abends die Geschäfte geschlossen sein. Frisches Brot ist mittlerweile mein Hauptnahrungsmittel geworden, und im einzigen Laden an der einzigen Straße gibt es Käse und Schinken dazu und Obst.
So schwer war mein Rucksack noch nie. Dieses bisschen Verpflegung kann doch nicht so viel wiegen? Also alles nochmal ausgepackt, das Schwere in Körpernähe und die Jacke zusammengerollt genau darüber; und wenn ich den Schlafsack mal rausnehme und ihn ein paar Stunden auf den Rucksack hänge, trocknet sicher auch ein Kilo Nachtschweiß. Jetzt fühlt es sich besser an, mein Gepäck sitzt wie angewachsen auf der Hüfte und drückt nicht auf den Schultern.
Leider geht die Morgenkühle mit dem Frühnebel und wir laufen bereits am Vormittag in stechender Sonne. Wechseln von gerölligen Feldwegen auf weiche, abgeerntete Getreidefelder, bummeln in immer stärker werdender Hitze durch sanftes Hügelland zwischen wunderbaren Berghöhen. Nichts ist hier, kein Baum oder Strauch, nicht einmal ein Dorf, nur gelegentlich ein Pilgerkreuz an einer Weggabelung. Sehnsüchtig erwarten wir ein schattiges Plätzchen, doch stattdessen versperrt unversehens ein hoher Zaun den Weg. Der Camino wird umgeleitet, weil hier in der Einsamkeit ein Golfplatz und eine Wohnsiedlung gebaut werden. Es ist nicht einmal ein Bretterzaun, in dessen Schatten wir uns hätten legen können, nein, nichts als ein Umweg! Nur eine Friedhofsmauer am Horizont lockt verheißungsvoll, und wir schleichen die nächste halbe Stunde darauf zu, obwohl wir eigentlich keinen der Schritte mehr gehen können. Schaffen es und werfen uns ausgedörrt unter die einzige Akazie am Friedhof auf herumliegendes Stroh. Strecken erleichtert alle viere von uns und schlafen auf der Stelle erschöpft ein.
Nur langsam kommen wir danach wieder in die flirrende Realität zurück, essen, trinken und beobachten von unserem Schattenplatz beim Klang einer weit entfernten Kirchenglocke, wie andere Wanderer unter der gnadenlosen Sonne vorbeitrotten.
Wir sollten bis zur Abendkühle hier bleiben, doch unser Wasser geht zur Neige. Uns bleibt keine Wahl, als in den Gluthauch zurückzugehen, zum nächsten Brunnen im nächsten Dorf, abseits des Weges auf einem Hügel. Maja bleibt mit dem Gepäck unten am Camino, damit ich mich unbelastet etwas weniger langsam bergauf schleppen kann; immer schön dicht an den Hauswänden bleibend und jeden Quadratzentimeter Schatten ausnutzend. Meine Märtyrergefühle steigern sich bei jedem mitleidigen Gruß der freundlichen Einwohner aus ihren schattigen Veranden. Gott sei Dank habe ich seit Puente la Reina eine Schirmmütze, sie schützt mich vor einem Sonnenstich, bis ich mir das kühle Brunnenwasser über den Kopf gieße und mich danach wie neugeboren fühle.
Gerettet setzen wir stoisch unseren Weg fort. Knappe zwei Stunden noch über Gemüsefelder und an Kartoffelhaufen vorbei bis zu den Vorortstraßen von Santo Domingo de la Calzada. Wir phantasieren nacheinander von Pellkartoffeln und ob wir uns wohl nach Kairo verlaufen haben, weil aus der wüstenartigen, staubigen Leere unvermittelt laute arabische Musik plärrt. Doch hier ist schon die Stadtmauer und dahinter die bereits vertraute Pilgergasse. Diesmal ist es nur ein kleiner Weg bis zur Herberge im ehemaligen Klostergebäude.
Danke Sankt Jakobus, dass wir wieder heil angekommen sind, für die Kühle hinter den dicken Wänden und die Freundlichkeit des alten Paares, das uns empfängt. „Hay una cama para dos peregrinas?“ Sie freuen sich über meine Frage in ihrer Sprache und führen uns verschwitzte, schmutzige Gestalten zwei Treppen hinauf, in einen kleinen gemütlichen Schlafsaal mit Vierbettabteilen.
Uff, duschen, Beine hoch und ausruhen. Aber nicht lange, schließlich sind wir am Platz des berühmten Hühnerwunders und mehr als neugierig auf das, was hier an die bekannteste Legende des Jakobswegs erinnert:
Im Mittelalter pilgerte ein Elternpaar mit seinem Sohn nach Santiago und machte hier in einem Wirtshaus Station. Eine Magd fand an dem jungen Mann Gefallen, wurde aber von ihm abgewiesen. Aus Rache versteckte sie in seinem Gepäck einen silbernen Becher und bezichtigte ihn des Diebstahls. Der Landrichter verurteilte ihn zum Tode, und er wurde gehenkt. Als die Eltern noch einmal zum Galgen zurückgingen,
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