Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
„Und deine Arbeit?“ „Weißt du, es war mir so ernst, dass auch mein Chef erkannt hat, dass ich auf jeden Fall gehen würde, und dann war es ganz einfach. Mein alter Freund Tim hat sich mir spontan angeschlossen.“
Hmm. „Und wie geht es dir jetzt?“ „Immer besser, immer klarer, es war die richtige Entscheidung.“ — Und ich war schon stolz auf meine bisher erwanderten 230 Kilometer und fand mich toller als die Leute, die erst von Pamplona aufgebrochen sind...
Der angestrahlte barocke Turm der Kirche schaut über die Klosterdächer auf unsere weinselige Runde, aus der sich niemand lösen mag, weil der Abend so romantisch und das Miteinander so gemütlich und vertraulich ist. Geschichten zum Nachdenken und Lachen machen die Runde, und als ich darüber jammere, dass wir heute überflüssigerweise Verpflegung mitgeschleppt haben, schüttelt Katharina lachend ihre blonden Locken: „Warum sorgst du dich? Mach es einfach in Zukunft anders und sieh die Dinge spirituell. Vertrau darauf, dass du schon etwas zu essen bekommen wirst, wo immer du ankommst.“ Hups. Warum nicht? Eigentlich passt das zu meiner Philosophie.
Ach, geht’s mir gut! Erst als die Hospitalera uns in die Betten jagt und ich zwei Etagen hinauf steigen muss, spüre ich meine bleierne Müdigkeit und falle glücklich in mein ganz besonders bequemes, herrliches Bett.
Nur noch liegen und schlafen.
Der Weg durch Kastilien von Santo Domingo de la Calzada bis O Cebreiro
Wunder
Santo Domingo de la Calzada — Belorado 23,5 km
Ich habe beschlossen, in Zukunft früher loszugehen, obwohl diese ruhige Stunde des Wartens hier draußen vor dem Kloster, zwischen Bogengängen und gestutzten Linden, herrlich ist. Ich möchte die Morgenkühle nutzen, weil das Laufen in der Hitze mich sehr anstrengt. Also gebe ich mir einen Ruck und sage es Maja, als sie kommt, und sie antwortet ganz verständnisvoll ‚Ja, dann stehe ich in Zukunft eben früher auf‘, und ich staune wieder, wie einfach es ist auszusprechen, wozu ich mich entschieden habe.
Die kleine leere Altstadt zwischen den Stadtmauern wirkt wie aus der Zeit gefallen und regt erneut meine Phantasie darüber an, was Pilger damals in der ungewohnten Fremde erlebt und gefühlt haben mögen. Träumend laufe ich durch die tausendjährigen Gassen, das Stadttor und über die Brücke des Heiligen Domingo. Da fallen mir am Feldrand an einem Bach Hütten aus Plastikplanen ins Auge, ärmliche Zelte und spielende Kinder unter Wäscheleinen. Gruppen von Männern und Frauen mit Werkzeugen quetschen sich in kleine Transporter, um anscheinend zur Arbeit zu fahren. Wanderarbeiterfamilien. Hier, mitten in Europa. Nomaden. Wie wir Pilger?
Nein. Ich leiste mir diese zeitweilige Unbehaustheit als Ausflug aus meinem etablierten Leben, als nicht so schnell zu toppendes Highlight. Diese Menschen ziehen aus Not mit Kind und Kegel durch das Land.
Dankbar für meine sorglose Freiheit, wandere ich nachdenklich über die letzten Weinfelder der Ríoja ins frühere Königreich Kastilien, das nunmehr eine spanische Region ist. Ganz langsam wird das Land jetzt ansteigen, bis bei Burgos die Meseta-Hochebene beginnt, auf der wir 200 Kilometer bis nach León gehen müssen.
Noch ist davon nichts zu merken. Wie in den vergangenen Tagen führt der Weg über Hügel hinauf und hinab, gelegentlich queren wir Flüsse auf alten Brücken, passieren Wegkreuze und seit Jahrhunderten unveränderte Dörfer, in denen nun Fachwerk- und Lehmbauten dominieren.
Die Landschaft besteht aus Riesenfeldern und Weggabelungen, und für die gelben Pfeile gibt es weder Felsen noch Steine als Untergrund. Manchmal ist es schwierig, den Weg zu finden, doch im Zweifel folgen wir anderen Wanderern, denn heute sind viele unterwegs. Als von weitem Redecilla del Camino zu sehen ist und ich nicht mehr fehlgehen kann, kürze ich mal wieder den Weg ab. Diagonal über eines der unübersehbar großen Felder, bis ich den Ort erreiche und Maja wieder treffe. Obwohl noch Vormittag, ist es schon wieder heiß, und wir sind froh über eine Bank im Schatten. Sitzen, Augen zu, abschlaffen.
Bis ein unbekannter Wanderer vor uns stehen bleibt, auf Englisch fragt: „Is one of you missing this bottle?“, und mit einer Trinkflasche in einer schwarzen Thermohülle wedelt. Verärgert über die Störung zucke ich hoch und fasse automatisch nach rechts unten. Aber da ist nichts. Und dann schaue ich genau hin, und sehe, dass der bebrillte Junge meine Flasche in der Hand hält. Es ist
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