Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
Bett, „wo dich nicht so viele Schnarcher stören“. Und dann zeigt er mir die Duschräume, wo ich im Spiegel eine völlig verdreckte, staubverkrustete Frau sehe, die mir bekannt vorkommt.
Welch eine Lust zu duschen und saubere Kleider anzuziehen, jetzt mag ich wieder unter Menschen gehen, in den schönen Garten. Da fällt mir mit einem Jubelschrei Katharina wie ein Wirbelwind um den Hals: „Wie schön, dass du auch kommst, ich hab dir so viel zu erzählen! Das hier ist Kevin, er kommt grad von Finisterre, wo er den Sommer über in einer Kommune am Strand gelebt hat, geht nach Deutschland zurück und verdient sich sein Reisegeld als Feuerschlucker und Jongleur.“ „Hi, Kevin.“ Katharina mit ihrem neuen Strohhut voll bunter Blumen auf dem Lockenkopf plappert und plappert, und ich bin froh zu sitzen, unterhalten zu werden und Unmengen Orangensaft in meine trockene Kehle zu schütten. Ziemlich stark, was dieser unternehmungslustige Student von seiner Reise seit dem Frühjahr erzählt; doch nun will er weiter, und bittet Katharina, seinem Freund eine E-Mail zu schicken, damit der Kevins Eltern bestellt, dass es ihren Sohn noch gibt und er in zwei Monaten zu Hause sein wird.
Wohlig müde höre ich ihr weiter zu. „Stell Dir vor, ich hab eine E-Mail von einem meiner beiden Freunde gekriegt, er kommt nach León und will mich treffen! Ich bin schrecklich aufgeregt, weil ich nicht weiß wie und wo, und freu mich so doll, weil ich mich in den letzten Tagen allein gefühlt hab. Ist mein neuer Hut nicht hübsch, eine Hospitalera hat ihn mir geschenkt? Seh ich gut damit aus?“ Ja, du kleine Süße siehst immer schön aus, und dein Freund wird dich mit und ohne Hut mögen. „Aber jetzt lass ich dich mal allein, du möchtest sicher deine Ruhe haben.“
Danke, ja. Ich möchte mich in eine schattige Gartenecke lehnen, nur sitzen, schreiben und den Leuten zusehen. Doch Ruhe finde ich nicht. Der gut aussehende, langhaarige Junge, dem ich in Atapuerca ein halbes Brot geschenkt habe, kommt zu mir gehumpelt und spricht mich auf Englisch an. „Magst du mir zuhören?“ Nein, mag ich nicht, aber du bist mir sympathisch und wenn ich hier sitzen bleiben kann und mich nicht mehr bewegen muss, bitte. „Okay, wer bist du denn?“ Und so lerne ich Eric kennen.
„Es geht mir heut schlecht, ich kann kaum noch laufen, meine Arthrose in der Hüfte schmerzt und seit zwei Tagen begleitet mich eine aufdringliche Frau, die ich nicht loswerde. Das belastet mich so, dass ich weglaufen möchte und kann es doch nicht. Fünfjahre konnte ich nur am Stock gehen oder gar nicht, jetzt bin ich seit fünf Wochen unterwegs, von Lyon in Frankreich. Doch an Tagen wie heute fürchte ich, dass ich es nicht bis Santiago schaffe und fühl mich als Krüppel. Was soll ich tun? Niemand kann es mir sagen.“ Armer Junge, ich kann dir nur raten, nicht gegen einen Teil von dir zu kämpfen. Auch deine Schmerzen und die Behinderung gehören zu dir. Mir hat geholfen jeden Morgen zu meinen Schmerzen zu sprechen, ihnen zu sagen, dass sie da sein können, aber mein Leben nicht beherrschen dürfen.
Eric schaut mich spöttisch an: „Was weißt du schon, du scheinst so etabliert und zufrieden, hast du schon jemals Sorgen und Schmerzen gehabt?“ Seine Jugend entschuldigt seine Naivität, er könnte mein Sohn sein, was glaubt er, wie ich lebe? „Wie all die verheirateten Familienfrauen mit gut verdienenden Ehemännern und netten Häusern. In Abhängigkeit von der Meinung der Umwelt, angepasst, unfrei. Ohne Sorgen. Ich bin allein, hab weder Frau noch Kinder, bin frei und unabhängig und möchte nicht mit euch Spießbürgern tauschen.“ O la la. Da ich dich nicht kenne und keine Rücksicht nehmen muss, sag ich dir jetzt, dass dein Horizont ziemlich schmal zu sein scheint, und erzähl dir, dass ich kämpfe, seit ich denken kann, und mich daran erschöpft habe. Dass materielle Sicherheit zwar ein gutes Fundament ist, aber keine wirkliche Bedeutung hat. Und weil du nachfragst, sollst du auch wissen, dass ich das dritte Mal verheiratet bin und von meinen vier Söhnen drei bei ihren Vätern aufwuchsen. Und wie viel Schmerz mir das bereitet hat. Und dass mein Schmerz und meine Selbstzweifel erst weniger wurden, als ich begann, meine Schattenseiten zu sehen und zu akzeptieren.
Wir sind quitt. Und still.
„Komm mit, wir gehen Abendbrot essen.“
Mit Roberte, der stillen Kanadierin, die wie Isolde aussieht, und ihre Freunde vermisst, von denen sie sich in Burgos getrennt
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