Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
hat. Mit Karl, einem Brückenbauingenieur aus Salzburg, der eine Entzündung in der Schulter hat, weil sein Rucksack 16 Kilo wiegt, aber trotzdem seine Campingausrüstung „für alle Fälle“ weiter mit sich herumtragen möchte. Mit Theresa, der lauten Rothaarigen aus Johannesburg, Erics Heimsuchung, die jeden „Darling“ nennt. Und Katharina aus Dresden.
Und ich hatte Freude am Zusammensein, sonderte mich weder äußerlich noch innerlich ab, gehörte dazu. Wurde bedient, versorgt und unterhalten, probierte von jedem Teller und hatte einen wunderbaren Abend, der damit endete, dass Mückenschwärme einfielen und Eric mir beim Gute-Nacht-Sagen einen Kuss auf die Wange gab: „Danke für unser Gespräch.“ Auch nett.
So gefiel es mir. Gehen bis zur Erschöpfung und dann Spaß, jetzt war Dynamik in meine Wanderung gekommen.
Auch wenn ich kaputter und erschöpfter als zuvor war — ich fühlte mich stark und glücklich.
Männer und Stiere
Boadilla del Camino — Carrión de los Condes > 24 km
Eine ganze Kanne Tee zum Frühstück. Und Butter, ganz viel Butter. Und danach ein großer Pott Café, von Edward am PC serviert, während ich an meine Kinder die erste Rundmail schreibe. So muss ein Sonntag sein — Königinnentag.
Nein, die E-Mails in meinem Briefkasten möchte ich nicht lesen, was interessiert mich die Welt, ich bin auf dem Camino. Drei Wochen keine Zeitungen und Nachrichten, kein Buch und kein Fernsehen — das Weltgetöse darf gern an mir vorbei gehen, wichtig sind nur noch elementare Dinge: Körper, Wetter, Essen und Gefühle.
Heute ist alles perfekt, die Luft noch kühl und die Dämmerung weicht langsam einem grandiosen Sonnenaufgang. Ja, und dann bin ich plötzlich nicht mehr in der Wüste, sondern in einem grünen Dickicht am Kanal von Kastilien. Mein Gott, ist die Welt schön, ist dieser Weg wunderbar; viel mehr Frauen wie ich sollten hier unterwegs sein, um all die herrlichen Dinge zu sehen, die ich sehe, um sich zu fühlen und wichtig zu nehmen. Und in meinem Kopf blitzt der Gedanke, ein Buch über meinen Camino zu schreiben, wenn ich wieder zu Hause bin. Auch wenn ich noch nicht weiß, ob ich es kann. Aber vielleicht probiere ich auch das — wie das Wandern. Dafür wären tatsächlich Fotos schön, aber als ich eben beim Sonnenaufgang die Gruppe spanischer Wanderer fotografieren sollte, war ich wieder froh, keine Kamera mit mir herumzutragen, weil die Beschäftigung damit für mich den Moment verändert. Und ich zudem sicher nicht begabt genug bin, diese einzigartige Stimmung von Feuchtigkeit, Gezwitscher, Geflatter und Stille in einem Bild festzuhalten. So schaue ich nur, speichere die Bilder im Kopf und intensiviere dabei das Gefühl, allein auf der Welt zu sein und gleichzeitig Teil von allem.
Schade, dass hier an der alten Backsteinschleuse anscheinend Schluss mit dem Wasser ist, dass es nun nach Frómista hineingeht, doch andererseits muss ich fürs tägliche Brot sorgen und dazu habe ich am Sonntag hier die besten Chancen.
„Geh da runter“, der einsame Straßenfeger zeigt in die leere Hauptstraße. Als ich nicht mehr weiter weiß, brauche ich nur köstlichem Duft zu folgen, um eine Pastelería zu finden, in der ich alles Notwendige kaufen kann; plus einem Stück frischen Sonntagnachmittagkuchen. Nur noch einen Café, einen Bissen frisches Brot, einmal um die berühmte Kirche San Martín und die Fabeltiere unterm Dach anschauen, und dann auf einen Sandweg parallel zur Autostraße, der glücklicherweise hinter dem nächsten Ort eine Alternative an einem Fluss entlang hat. Wieder Wasser und Fruchtbarkeit, Raubvögel, Sonnenblumen und Maisfelder, doch leider muss ich nach einer Stunde in einem halbverfallenen Lehmdorf auf den Schotterweg zurück.
Schnurgerade bis zum Horizont begleitet er die Straße, und obwohl man sich hier wirklich nicht verlaufen kann, stehen alle paar hundert Meter Paare kleiner Betonstelen mit stilisierten gelben Jakobsmuscheln auf blauen Kacheln. Gut, dass nur wenige Autofahrer unterwegs sind, doch viele von ihnen hupen und winken jedem Wanderer. Ich freue mich über die Aufmerksamkeit der Spanier und die Achtung, die sie uns Pilgern erweisen. Ein alter Mann, der seinen erwachsenen Sohn im Rollstuhl spazieren fährt, grüßt mich, und wir führen ein ,Gespräch‘ auf Spanisch — er, und Englisch-Deutsch — ich, mit viel Gestikulieren und Lachen. Wir tauschen zwar nicht viele Informationen aus, doch ganz viel Herzlichkeit und Freude. Und als ich noch
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