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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: HanneLore Hallek
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12 Uhr vor der Kathedrale. Ich möchte wissen, ob du heil hinkommst.“
    Natürlich bin ich viel zu früh an der Haltestelle, habe Zeit Eric kopfschüttelnd hinterher zu gucken als er über die Brücke davonwandert, und kann von der morgendlichen Hatz verschnaufen.
    Aber irgendwas ist nicht rund. Irgendetwas stimmt nicht. Was war heute Morgen? Irgendwas ist mit meinem Credencial. Eric hat es stempeln lassen und es mir zurückgegeben. Wo habe ich es hin getan? Gut, dass alle Dinge feste Plätze im Rucksack haben, aber ein Handgriff und ich merke, dass es nicht dort ist, wo es hingehört. Jetzt werde ich nervös, wühle, grabe, packe aus. Es ist überhaupt nicht im Rucksack. Alles ist ausgeleert, alle meine Sachen liegen ausgebreitet auf der Straße, ich finde es nicht. Und jetzt hält der Bus und der Fahrer öffnet die Tür und sieht mich fragend an. Was soll ich tun? Er muss losfahren, obwohl mich das in Panik versetzt, aber ich kann nicht ohne mein allerwichtigstes Reisedokument weiterziehen. Noch einmal wühle ich alle Sachen kopflos durch, packe sie wieder ein und bin kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Ich muss es unbedingt wiederhaben. Es kann nur in meinem Zimmer liegen geblieben sein.
    Zur Pension sind es nur ein paar Schritte, doch die Tür, die wir vorhin geschlossen haben, ist von außen nicht zu öffnen. Eine Klingel gibt es nicht und auf mein Klopfen reagiert niemand. Ein Postbote kommt. Vielleicht kann der mir sagen, wie ich jemanden im Haus erreichen kann. Doch er versteht mich nicht und schüttelt nur den Kopf. „Cerrado, cerrado.“ Geschlossen. Ja, das merke ich! Aber vielleicht den ganzen Tag? Was mache ich jetzt? Wie kriege ich in dieser Situation einen klaren Kopf? Erst mal ruhig und tief atmen. Denken. Ich brauche jemanden, der Spanisch spricht, aber auch mich versteht. Die Pastelería! Vielleicht sind dort noch andere Pilger. Also zurück dorthin und zitternd mutig eine Gruppe frühstückender Wanderer angesprochen: „Spricht eine von euch Englisch und Spanisch?“ Eine resolute Frau reagiert sofort: „Yes, what’s your problem?“ Sie versteht nicht nur mein Gestottere, sondern schreitet auch sofort zur Tat: „Ich ruf da an.“ Aber es läuft nur ein Band. „Na, dann komm mal mit, wir gehen zusammen hin.“ Im Eilschritt läuft sie vor mir die Straße hinunter „Ist es dort?“, bollert hemmungslos so laut an die Tür, wie ich es mich nicht getraut habe, und brüllt spanische Worte. Immer wieder. Bis nach schier endloser Zeit Bewegung hinter der Scheibe ist — und der wortkarge Wirt schlaftrunken und verwirrt öffnet. „Danke, Señora.“ Ich bin — wieder mal — gerettet.
    Doch noch habe ich mein Credencial nicht, muss noch bange Minuten suchen, bis ich es im dritten Anlauf im Chaos zwischen der zerknautschten Bettdecke finde. Mir fällt ein Stein vom Herzen, der Wirt ist mir plötzlich sympathisch und wegen des Busses habe ich keine Sorgen mehr. Ist nicht immer alles gut ausgegangen? „Adiós, Señor, gracias“, wieder hinaus auf die Straße und Adiós, du schönes Mansillas.
    Da kommt auch schon der nächste Bus und fährt mich in 30 Minuten zum Leóneser Busbahnhof
    Wo bin ich jetzt und wo muss ich hin? Und kann ich gehen, wenn ich den Rucksack trage? Auf einem großen Übersichtsplan scheint der Weg zur Kathedrale einfach zu sein: Flussparks, Neustadt, Altstadt. Die ersten Schritte sind ungewohnt, doch meine Bandagen verteilen den Muskelzug, es tut nicht sehr weh. Ich versuche den eingeprägten Weg zu finden, doch ich verlaufe mich wieder, wie in Burgos. Wieso habe ich kein Gefühl mehr für Richtung und Ziel? Vor mir ist eine Stadtmauer. Bin ich innerhalb oder außerhalb der Altstadt?
    Und wieder kommt ein Retter, sieht mich hilflos umherschauen und zeigt mir den Weg zur riesengroßen Altstadt, die viel prächtiger und belebter ist, als ich es erwartet habe. Zwischen den alten Gebäuden laufe ich durch Straßen und Gassen, bis ich eine kleine Kirche sehe, in der ich Gott danke, dass ich besser laufen kann und mein Herz trotz Aufregung und Schmerzen froh ist.
    Ein malerischer Marktplatz voller Menschen, Hühnern, Olivenfässern, Obsttürmen, Gemüsekisten, Weinfässern, Brotverkäufern und lautem Geschrei öffnet sich hinter der Kirchgasse. Ein Viereck aus dreigeschossigen Renaissancehäusern, mit Arkaden und umlaufenden Reihen von Balkonen. Wie eine italienische Piazza, herrlich. Hier ein Weilchen sitzen und schauen, meinen Blick über die schönen alten Fassaden schweifen

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