Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
eines Scharadezirkuspferdes, denke nicht mehr, habe mich ganz übergeben. Lasse mich ziehen. Wenn er stehen bleibt, kann ich keinen Schritt weiter, wenn er den Tritt wechselt, tue ich es auch. Es geht mir sehr schlecht, aber ich halte durch. Stunde um Stunde, bis wir Reliegos erreichen und eine Bar finden, wo ich halb zerstört endlich auf einen Stuhl falle — mit dem Rücken zum Raum, damit niemand mein verweintes Gesicht sieht. Nur Eric gegenüber verstelle ich mich nicht mehr. Er sorgt und kümmert sich liebevoll um mich, befragt den Barkeeper, telefoniert und befiehlt mir zu essen und zu trinken, damit ich zu Kräften komme. Leider gibt es hier keinen Arzt, wir müssen nach kurzer Pause weiter nach Mansillas. „Ich hab dir dort telefonisch ein Pensionszimmer bestellt. Meinst du, dass du es bis dahin schaffst, oder soll ich versuchen eine Taxe für dich zu kriegen?“ Nein, so schlimm ist es nicht, noch tragen mich meine Beine. Wenn ich nur nicht vom Stuhl aufstehen und die ersten Schritte machen müsste — jetzt bräuchte ich einen großen Schnaps! Doch stattdessen nehme ich meine zweite und letzte Tablette, die mich nahezu betäubt. Mir wird beinahe alles egal, ich bringe auch die letzten anderthalb Stunden irgendwie hinter mich, lasse mich in eine Pension begleiten, ins Bett legen, und dämmere, bis ein Arzt kommt. Der kennt das schon, diagnostiziert tatsächlich Tendinitis, Sehnenentzündung durch Überanstrengung, und verordnet mir Ruhe. „Erst einmal ist Schluss mit Gehen, nehmen Sie die Tabletten, die ich Ihnen aufschreibe.“
Nicht mehr gehen? Na und? Egal. Lethargisch liege ich und lasse sein, was ist, lasse geschehen, was geschieht, es ist mir gleich. Eric bringt mir Medikamente, Wunschsuppe und Saft. Das tut gut, und langsam erhole ich mich.
„Danke, Eric. Warum tust du das alles für mich?“ Wieder lächelt er sein gewinnendes Lächeln: „Ich würde das nicht nur für dich tun, ich sagte dir doch, dass ich allen auf dem Camino helfe, die Hilfe brauchen! Und außerdem hab ich ziemlichen Respekt vor deiner Zähigkeit. Niemand, den ich kenne, hätte das heut ausgehalten.“ Berührt freue ich mich über sein Kompliment, zu schwach, um verlegen zu werden.
„Warum hilfst du allen?“ Er setzt sich auf mein Bett und beginnt zu erzählen, anfänglich allerlei Lalala über Menschenfreundlichkeit, doch zunehmend intimer: Von seiner Einsamkeit und seiner Zerrissenheit zwischen dem Wunsch, sich frei zu fühlen, und dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit — er ist plötzlich nicht mehr mein starker Ritter, sondern wirkt hilflos und allein. Und ich reagiere darauf, in dem ich von anderen Menschen und ihren Sehnsüchten und Bedürfnissen spreche — warum? Warum muss ich erst seine fassungslose Wut und Traurigkeit als Reaktion darauf sehen, bevor ich mich beschämt an eine ähnliche Situation erinnere? Als einer meiner Söhne über seinen Kummer und seine Probleme sprach und ich ihm gutgemeinte Ratschläge gab, seine Not erst begriff als er weinend schrie: „Hör doch einfach nur mal zu!“
Ja, ich will aufmerksam sein, da sein, so wie ich es mir selbst wünschte, mich ihm ganz zuwenden und wirklich zuhören. Er hat seine Maske vor mir fallen lassen und vertraut sich mir an, spricht noch sehr lange, wird irgendwann ruhiger, und wie selbstverständlich fällt mir in dieser fragilen Stimmung der ,Ozeanische Begleiter’ ein — ein liebevolles Halten-und-Gehalten-Werden. Ich setze mich an das Kopfende meines Bettes, öffne die Arme und frage Eric, ob er sich zu mir setzen und sich anlehnen möchte. Nur kurz schaut er verunsichert: „Jetzt bist du die Therapeutin“, dann legt er seinen Rücken an meine Brust und den Kopf an meine Schulter, und ich halte ihn und wir sitzen ganz still.
Geborgen vom ganzen Universum.
Lange sitzen wir so, bis er die Stille unterbricht: „Zum ersten Mal seit 17 Jahren versteht mich jemand.“
Und ich? Ich fühle mich reich beschenkt, voll innerer Ruhe und tiefem Verstehen, und als hätte ich etwas wieder gut gemacht.
Wiedersehen
Mansillas de las Mulas
„Guten Morgen, wie geht es dir?“
Es ist mir schon zu viel, zur Tür zu gehen. Die Schienbeine schmerzen sogar beim Liegen, aber habe ich ein Wunder erwartet? So schnell kann sich nichts bessern. Wie gut, dass jemand da ist, der sich um mich sorgt und mir Mut macht. „Ich werde mit dir hier bleiben, ein Tag Ruhe wird auch mir gut tun, und du brauchst noch Hilfe.“ Ja, ich fühle mich hilflos, bin ihm dankbar für sein
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