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Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam

Titel: Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: HanneLore Hallek
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Angebot, und nun will er mir sogar Frühstück heraufholen: „Du solltest gar nicht aufstehen.“ Aber Frühstück im Bett war mir schon immer ein Gräuel, und es sind auch nicht viele Treppenstufen hinunter in die Bar, wo der wortkarge Wirt nur kurz aufschaut. „Frühstück macht meine Frau.“ Scheu scheint sie, war früher sicher mal ein schönes Mädchen, aber jetzt sieht sie verarbeitet und erschöpft aus. Freundlich und still serviert sie uns ein üppiges Frühstück, und dann quäle ich mich wieder die Treppe hinauf, ruhe und schlafe bis zum Nachmittag.
    Und halte zwischendurch meinen Ritter auf Trab, der scheinbar nur darauf wartet, dass ich etwas brauche oder wünsche. Welche Wonne. Ich liege in weichen Kissen, die Beine hoch und bitte um Saft und Obst, und „mein Flaschenhalter ist kaputt, vielleicht findest Du einen Schuster“ und „Körperöl hätte ich gern aus der Apotheke. Und Nüsse.“ Er verwöhnt mich wie eine Mutter und ich genieße es, doch das Stillliegen macht mich zappelig, ich möchte mich bewegen, an die frische Luft. „Glaubst du, ich könnte langsam spazieren gehen?“
    Wir probieren es und schleichen durch den Ort. Zu den Auen und Badeplätzen am Río Esla, durch Gassen und über niedliche Plätze mit Geschäften. Wie Urgroßmutter und Großvater. Ganz langsam, dann ist der Schmerz gedämpft. Mit Pausen, wenn es zu sehr zwickt. Ich will geduldig sein und die Grenzen respektieren, die mir mein Körper setzt. Offenbar bin ich schon wieder nicht achtsam genug mit mir umgegangen und muss nun die Einschränkung akzeptieren. Warum ist es nur so schwer, zu lernen? Warum brauche ich schon wieder eine Zwangspause? Lieber Gott, du und ich haben es nicht leicht mit mir.
    Am Marktplatz ruhen wir auf einer Bank aus, und heute erzähle ich. Von Maja. Woher wir uns kennen und von unserer Zeit miteinander auf dem Camino. Von meiner Schwierigkeit, mein Bedürfnis nach Alleinsein zu verstehen und umzusetzen, und dass ich mir mein Handeln, tief drinnen, immer noch nicht ganz erlaube. Dabei dreht Eric den Kopf und lächelt jemandem zu, und ich schaue auch und sehe — Maja angewandert kommen.
    Ich traue meinen Augen nicht — und fühle mich ertappt. Nein, ich habe sie nicht allein gelassen, um mit jemand anders weiterzugehen. In meinem Kopf rattert es. Ich muss es ihr erklären. Wieso kommt sie genau in dem Augenblick, in dem ich über sie spreche? Was bedeutet das, wo es doch keine Zufälle gibt? Wie ein Automat stehe ich auf, gehe zu ihr und küsse sie — sie reagiert nicht. „Ich glaub das nicht, wir sprechen grad von Dir! Wie geht es Dir? Gut? Ich kann nicht mehr gehen.“ Ich plappere irgendwas, sie sieht mich an, grinst und sagt „Es geht mir gut. Und du kannst nicht mehr gehen?“ Schweigen. Sie lacht. Was für ein schrecklicher Moment. Statt dass wir miteinander reden, geht sie: „Ich muss erst mal ankommen, will jetzt zur Herberge. Bis später.“
    „Was ist, warum hat sie gelacht?“ Eric reißt mich aus meiner Erstarrung. Ich weiß es nicht, aber fühle mich ausgelacht, bin gekränkt, möchte nicht mehr an diesen Moment denken. Und auf „später“ habe ich keine Lust. Nein, wir wollen einander auf dieser Reise nicht mehr treffen — beide haben wir es signalisiert und beide haben es verstanden. Gut, dass Eric mich ablenkt: „Lass uns zurückgehen, ich zeig dir was.“ Ja, bring mich auf andere Gedanken.
    In unserer Bar zieht er mich freudig aufgeregt und geheimnistuerisch neben sich vor die Internetstation, öffnet die Websites von Montreux und Lausanne, zeigt mir, wo er geboren und aufgewachsen ist. „Da, zwischen diesen Bergen.“ Blättert Seite um Seite seiner Homepage auf, erzählt von seiner Familie, seiner Arbeit an der Universität von Wroclaw, vom Tanzen und von seinen Schülern.
    Widerstand. In mir entsteht Widerstand. Das will ich alles gar nicht wissen und sehen. Der da auf dem Bildschirm ist nicht mein Caminofreund, sondern ein richtiger Mann mit einem richtigen Leben. Und das hat mit mir nichts zu tun.
    Er versteht mich erst, als ich auf seine Frage „Und wo bist du? Zeig mir was von dir“ schweige. Doch er sagt nichts, nur die Atmosphäre zwischen uns verändert sich fast unmerklich.
    Abends traue ich mich noch einmal auf die Straße. Ins Nebenhaus zum Essen, wo wir uns über einen Vertreter für elektrisch beheizte Bettdecken amüsieren, der im Gastraum eine Verkaufsausstellung aufbaut. Für die Einheimischen in ihrem ganz normalen Leben. Von dem wir in unserer

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