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Wie Jakob die Zeit verlor

Wie Jakob die Zeit verlor

Titel: Wie Jakob die Zeit verlor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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gab. Aber damals drehte es sich um banale Dinge wie Urlaubsplanungen, Ereignisse auf der Arbeit, die Anschaffung eines neuen Staubsaugers und nicht um die Bewältigung ihrer Beziehung. Während die beiden älteren Männer am Tisch sitzen, irritiert, nervös, wie ungebetene Besucher in den eigenen vier Wänden, und an ihren Gläsern nippen, lehnt Philip entspannt am Kühlschrank und trinkt einen seiner Energydrinks. Ein Lächeln umspielt seine Lippen; er kommt sich vor wie ein Zauberer, der gerade einen Blick in seine Kristallkugel riskiert und dabei die Zukunft sieht. Er ist selber überrascht, wie sehr er an dieser Zukunft Gefallen findet.
    „Antworten? Worauf?“, fragt Jakob.
    Arne schnaubt auf. „Warum unsere Beziehung nicht funktioniert hat. Warum du mich niemals geliebt und trotzdem jahrelang mit mir gelebt hast. Warum du mir etwas vorgespielt hast – und erzähl mir nicht, dass ich mich täusche. Nenn mir einen gottverdammten Grund, warum du mit mir zusammen warst!“ Die ganze Bitterkeit, die ganze Enttäuschung ist in Arnes Augen zu sehen und in seiner Stimme zu hören.
    Das stimmt nicht!, will Jakob widersprechen, ich habe dir nichts vorgemacht, ich habe dich immer geliebt! Aber als er den Mund öffnet, kommt ein ganz anderer Satz über seine Lippen. „Seit Marius ist nichts mehr real“, sagt er leise.
    Es ist auf einmal still in der Küche, von der Straße dringt das Geräusch des Autoverkehrs nach oben, Fetzen orientalischer Musik aus dem Radio eines vorbeirauschenden Wagens, Gelächter von Männerstimmen.
    „Und was sind wir dann?“, fragt Philip. „Gespenster?“
    Später will Arne die Wohnung verlassen, sich ins Auto setzen und zu seinem Apartment fahren, aber Jakob hält ihn zurück, mehr aus Vernunft als aus Überzeugung. „Du hast zu viel getrunken, du kannst dich nicht mehr hinters Steuer setzen.“ Er deutet auf die zwei leeren Flaschen, die mittlerweile auf dem Küchentisch stehen.
    Arne kann sich nicht einmal erinnern, wann sie den ganzen Alkohol getrunken haben. „Verdammt“, murmelt er. „Ich hab morgen wichtige Termine.“
    „Ich muss auch arbeiten“, sagt Jakob. „Ich muss auch früh raus.“
    „Wenn du glaubst, ich schlafe neben dir im Bett, hast du dich geschnitten.“
    „Wir könnten alle drei in einem Bett pennen“, sagt Philip.
    Arne lacht verunsichert, und einen Moment hat es den Anschein, als würde er Philips Vorschlag tatsächlich in Erwägung ziehen, aber dann fährt Jakob den Jungen an und sagt grob: „Red keinen Unsinn!“
    Und so bleibt Jakob im Schlafzimmer, Arne legt sich, nachdem er die Bügelwäsche zur Seite geräumt hat, auf der ausziehbaren Couch im Gästezimmer aufs Ohr, und Philip verbringt eine weitere Nacht auf dem Sofa im Wohnzimmer.
    Am nächsten Morgen verschlafen Arne und Jakob, weil Jakobs Wecker in der Nacht beschlossen hat, die Zeit endgültig ihrer Funktion zu berauben, sie weder schnell noch langsam vergehen zu lassen, sondern völlig zum Stillstand zu bringen. Zahnräder greifen nicht mehr ineinander, Zeiger verharren auf ihren Positionen, das gewohnte Ticken wird unregelmäßig und hört schließlich ganz auf. Und so bemerken sie nicht, dass Philip in aller Frühe seine wenigen Sachen zusammenpackt und auf Zehenspitzen aus der Wohnung schleicht. Als sie endlich aufwachen, hektisch aus ihren Betten stolpern und lauthals fluchen, ist Philips Platz leer. Nicht einmal eine Nachricht auf einem Zettel hat er zurückgelassen.
    „Schon wieder“, seufzt Arne und fährt sich durch die Haare.
    „Ja“, sagt Jakob. „Ich weiß.“
    „Das ist deine Schuld.“
    „Wieso das denn?“
    „Weil du ihn angeschnauzt hast.“
    „Quatsch. Er wird schon wiederkommen. Immer, wenn er in Schwierigkeiten ist, taucht er wieder auf, oder?“
    Arne schüttelt den Kopf. „Ich werde ihn suchen“, sagt er.
    „Du weißt doch gar nicht, wo du anfangen sollst!“, ruft ihm Jakob hinterher. Aber da ist Arne schon im Treppenhaus, auf dem Weg nach draußen.
    „Und warum wollen Sie die Therapie abbrechen?“
    Jakob sitzt ins Silky Legs’ eidottergelbem Therapieraum und fühlt sich sichtlich unwohl. Er hat seine Hände unter die Oberschenkel geklemmt, um zu verhindern, dass er mit den Armen herumfuchtelt. Er ist auch so schon nervös genug. Sein Blick streift unruhig durch den Raum, bleibt an der unscharfen Fotografie hängen, driftet über die Couch und krallt sich starr am Fenster fest, durch das er ein Stück bewölkten Himmel sehen kann.
    Silky Legs dagegen ist

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