Wie man die richtige Arbeit für sich findet
Mensch mit den ausgestreckten Armen ist das Symbol für das Universalgenie der Renaissance.
( Der vitruvianische Mensch , Leonardo da Vinci. Fotografie © Garry Gay / Getty Images)
Leonardo war ein frühes Beispiel für das, was man heute als »Portfolioarbeiter« bezeichnet, ein Begriff, der von dem Management-Vordenker Charles Handy geprägt wurde. Ein Portfolioarbeiter baut sich eine Palette oder ein »Portfolio« von Berufen auf, die er jeweils in Teilzeit und, wenn möglich, auf freiberuflicher Basis ausübt. Jemand arbeitet also zum Beispiel drei Tage pro Woche als Entwicklungsökonom und den Rest der Woche als selbständiger Hochzeitsfotograf oder Online-Buchhändler. Oder jemand möchte nicht ausschließlich geistig oder körperlich arbeiten und teilt seine Zeit zwischen Tätigkeiten als Softwareprogrammierer und als Ballettlehrer. Charles Handy hielt das nicht zuletzt für eine kluge Strategie in turbulenten wirtschaftlichen Zeiten, mit der sich die Risiken der Arbeitslosigkeit verringern lassen. Das bedeutet nicht, dass wir Portfolioarbeit nur unter negativen Vorzeichen betrachten sollten. Wenn wir uns das positive Menschenbild der Renaissance zu eigen machen, ermöglicht uns eine parallele Betätigung auf mehreren Berufsfeldern die Entfaltung verschiedener Facetten unseres Ichs.
Generalist im Sinne der Renaissance zu werden stellt uns allerdings vor viele Herausforderungen, nicht zuletzt das Problem der finanziellen Unsicherheit für jemanden, der mehrere Jobs als Freiberufler kombiniert – ein Thema, auf das ich später noch einmal zurückkommen werde. Vielleicht werden Sie sich also wohler fühlen, wenn Sie Ihre Talente und Passionen als Serienspezialist einsetzen. Statt mehrere Berufe gleichzeitig könnte man drei oder vier Tätigkeiten nacheinander ausüben – zunächst beispielsweise in der Öffentlichkeitsarbeit, danach als Betreiber eines Jugendhotels und danach wiederum als selbständiger Gärtner. So breitgefächert zu arbeiten ist sinnvoll in einer Welt, in der sich das Renteneintrittsalter nach hinten verschiebt und das Arbeitsleben länger wird; es eröffnet mehr Raum für die Ausübung verschiedener Berufe. Aber auch wenn sich jemand im Verlaufe seines Arbeitslebens nur einmal beruflich neu orientiert, befreit ihn das womöglich von einer Tätigkeit, die ihren Reiz für ihn verloren hat, und bietet ihm die Chance, eine andere Seite seines Ichs zu entfalten.
Sehen wir uns den Fall von Lisa Brideau an, einer ehemaligen Ingenieurin für Luft- und Raumfahrttechnik, die auf der Basis von Werksverträgen Projekte für die NASA entwickelte. Nach ein paar Jahren stellte Lisa fest, dass das Raumfahrtingenieurwesen längst nicht so aufregend war, wie sie ursprünglich angenommen hatte. Da sie das Gefühl hatte, nicht besonders gut in ihrem Job zu sein, strebte Lisa etwas Neues an:
Wie sich herausstellte, lag die Antwort direkt vor meiner Haustür, in all den grässlichen Vororten von Wisconsin, in denen ich bereits gewohnt hatte: Sie hieß Stadtplanung. Dass es solche seelenlosen zersiedelten Stadtlandschaften gab, regte mich so auf, dass ich etwas dagegen unternehmen musste. Für mich war das im Grunde ein Sprung ins kalte Wasser. Ich las einige Bücher über das Thema, belegte einen Kurs über urbane Geographie an der hiesigen Universität und bewarb mich danach um einen Studienplatz im Fach Raumplanung. Mit dem Master in der Tasche fand ich eine Stelle in der sehr progressiven Planungsabteilung einer Großstadt. Ich musste mich zwar von unten hocharbeiten, hatte dadurch aber mehr Zeit, mein Handwerk gründlich zu lernen. Bis jetzt finde ich Stadtplanung großartig – ein unendlich faszinierendes Feld.
Zum Glück hatte ich genug gespart, dass ich mir ein zweites Studium leisten konnte, aber leichtgefallen ist mir die berufliche Neuorientierung letztlich deshalb, weil ich von Anfang an nicht vorhatte, immer nur das eine zu machen. Es gibt so viele interessante Dinge, die man tun kann – warum also für immer dieselbe Tätigkeit ausüben? Ich finde, seinen Job aufgeben und etwas Neues anfangen, das sollte jeder mindestens einmal im Leben tun.
Lisa ist die geborene Serienspezialistin. Ihre Idee, jeder sollte mindestens einmal im Leben den Beruf wechseln, ist ein guter Rat, nicht zuletzt deshalb, weil unsere Motive und unsere Ziele sich im Verlauf unseres Lebens wandeln und wir selbst oft schlecht einschätzen können, wo unsere Interessen in der Zukunft liegen werden. Ein Berufsweg als
Weitere Kostenlose Bücher