Wie Rosenblätter im Wind: Mittsommerhochzeit (German Edition)
ihr die Luft in ihrem Zimmer mit den hübschen Birkenholzmöbeln, den weiß getünchten Wänden und den gesteiften Gardinen vor den Fenstern schrecklich stickig vor, und sie hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.
Hastig verließ sie den kleinen Raum und trat hinaus auf den Korridor, in dem bereits schummriges Zwielicht herrschte. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, nach Thorbjörn zu suchen. Doch dann entschied sie sich, lieber einen Streifzug durch das alte Gebäude zu machen. Vielleicht stieß sie ja in einem der Räume auf etwas, das ihr half, Mårten zu verstehen. Denn sie spürte, dass sie erst seine Beweggründe begreifen musste, um ihn davon zu überzeugen, mit ihr zusammenzuarbeiten.
Warum trat er nun schon seit fast zwei Jahren nicht mehr auf? Die Musik hatte ihm immer alles bedeutet. Es musste einfach eine Erklärung für diese Veränderung geben. Die Zeitungen hatten damals alle möglichen Spekulationen aufgestellt, doch keine davon erschien Milla wirklich logisch. Jedenfalls war Mårten ganz gewiss nicht schwer krank, und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass es an einer unglücklichen Romanze lag. Sie musste unbedingt herausfinden, was hinter seinem Verhalten steckte. Denn wenn sie es nicht tat, konnte sie auch gleich wieder nach Kronborg Slott zurückkehren und der Kronprinzessin gestehen, versagt zu haben.
Im zweiten Stockwerk der Mühle befand sich, abgesehen vom Gästezimmer, nur noch ein weiterer Raum, der als Abstellkammer diente. Große Schrankkoffer standen hier, ordentlich an der Wand aufeinandergestapelt. Nichts, was für Milla irgendwie von Interesse sein könnte.
Sie stieg die Wendeltreppe ins erste Obergeschoss hinunter. Bei dem Raum, der die gesamte Südseite der Mühle einnahm, handelte es sich um Mårtens Schlafkammer. Das Zimmer auf der Nordseite hatte sie bisher noch nicht betreten. Eine schwere Eichentür versperrte den Weg. Probeweise drückte sie die messingfarbene Klinke hinunter.
Die Tür schwang auf, und Milla riss überrascht die Augen auf. Abgesehen von Regalen mit Notenbüchern gab es hier nur einen prachtvollen schwarzen Orchesterflügel, der den ganzen Raum dominierte.
Wie magisch angezogen von dem Flügel betrat sie das Zimmer. Ihre Finger strichen ehrfürchtig über den glänzenden Klavierlack. Um dieses kostbare, aber auch sperrige und schwere Instrument ins erste Stockwerk der Mühle zu transportieren, waren mit Sicherheit einige Arbeiter und ein Kran notwendig gewesen. Sie setzte sich auf den Hocker und hob den Tastendeckel an.
Wie von selbst legten sich Millas Hände auf die Tasten. Sie hatte zwar eine klassische Ausbildung zur Sängerin genossen, aber auch viele Stunden Klavierunterricht absolviert. Schon als junges Mädchen war es ihr Traum gewesen, eines Tages von der Musik leben zu können. Beinahe hätte sie es geschafft. Doch die Verantwortung für ein kleines Kind ließ sich nur schwer mit einer Karriere als Sängerin bei der Stockholmer Oper vereinbaren.
Mit geschlossenen Augen fing sie an zu spielen.
Es war, als würde die Musik direkt aus ihr hinausströmen. Ihre Finger flogen bei den ersten Takten eines schwedischen Volkslieds regelrecht über die Tasten. Sie spürte ein Glücksgefühl in sich aufsteigen, wie sie es schon lange nicht mehr erlebt hatte. Sie …
“Was, zum Teufel, tust du da?”
Milla zuckte unter Mårtens wütendem Aufschrei so heftig zusammen, dass sie ihr Spiel mit einem schrecklich missklingenden Ton beendete.
“Mårten!”, stieß sie heiser aus. “Was …?”
“Verschwinde!” In seinem wilden Blick bündelte sich aller Schmerz und Zorn der Welt. “Pack deine Sachen und verlass auf der Stelle mein Haus!”
6. KAPITEL
M årten!” Milla sprang von ihrem Platz hinter dem Flügel auf. “Bitte, was habe ich denn getan?”
Doch er achtete gar nicht auf sie. Polternd lief er die enge Wendeltreppe hinunter, und dann hörte Milla, wie in der Etage unter ihr eine Tür zuschlug.
Und was jetzt?
Ihr Herz klopfte so heftig, dass sie das Gefühl hatte, es müsste zerspringen.
Sie ging auf ihr Zimmer, setzte sich auf den Rand des Betts und zwang sich, tief durchzuatmen, doch auch das half nicht.
Was nun?
Sie hatte versagt. Endgültig, unwiderruflich versagt.
Aber warum? Und vor allem: wie? Sie verstand einfach nicht, was hier gerade passiert war. Mårten hatte einen regelrechten Wutanfall bekommen, nur weil sie ein bisschen auf seinem Flügel gespielt hatte. Das zu erklären, ging über ihren Verstand.
Doch das
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