Wie Rosenblätter im Wind: Mittsommerhochzeit (German Edition)
Machtlosigkeit, während seine Finger sich wie von allein weiter über die Tasten bewegten. Spielten, so wie sie noch nie zuvor gespielt hatten.
Das Konzert seines Lebens. Was für eine Ironie des Schicksals, dass das einzige Publikum, das den grandiosesten seiner Auftritte miterlebte, ein paar Bühnenarbeiter und die Sanitäter waren, die verzweifelt versuchten, seinen Vater zu retten.
Aufhören!
Angespannt raufte Mårten sich das Haar. So heftig war es schon lange nicht mehr gewesen. Wahrscheinlich lag es an Milla. Ihre Anwesenheit im Haus ließ die Erinnerungen wieder aufleben. Es wäre besser gewesen, er hätte sie gehen lassen. Ihre Nähe machte ihn verwundbar, und er hasste das Gefühl, langsam, aber sicher die Kontrolle zu verlieren.
Sie zu sich in die alte Mühle zu holen war keine besonders gute Idee gewesen. Er hatte gehofft, so endgültig von ihr loszukommen und sich gleichzeitig an ihr zu rächen, weil sie ihn damals ohne ein Wort der Erklärung verlassen hatte.
Doch nichts davon war ihm bisher gelungen. Ganz im Gegenteil sogar! Er fühlte sich mehr denn je zu ihr hingezogen. Vorhin im Gästezimmer hätte er sie sogar beinahe geküsst.
Ich muss den Verstand verloren haben!
Vielleicht würde er eines Tages wieder bereit sein, einer Frau zu vertrauen. Doch eines stand fest: Milla war ganz gewiss nicht die Richtige, um einen Neuanfang zu wagen.
Sie gehörte einfach nicht hierher! Sie war ein Teil seiner Vergangenheit, den er schon seit Langem zu vergessen suchte.
Doch es schien kein Vergessen zu geben für diejenigen, die Schuld auf sich geladen hatten, so wie er.
Und auch Milla.
Ob sie auch so schlecht schlief? Quälte sie ihr Gewissen?
Nein, beantwortete er sich die Fragen selbst. Nicht Milla. Sie gehörte zu den beneidenswerten Menschen, die sich keine Gedanken darüber machten, welche Konsequenzen ihr Handeln für andere haben mochte. Wahrscheinlich kam sie nicht einmal auf den Gedanken, dass er ihr noch etwas nachtragen könnte.
Wenn er jetzt in sich hineinhorchte, war es aber nicht der Rachedurst gewesen, der ihn dazu gebracht hatte, sich bei ihr für seinen Wutausbruch zu entschuldigen. Sicher, es stimmte schon: Wenn sie jetzt ging, verlor er auch die Möglichkeit, es ihr heimzuzahlen.
Aber wollte er das überhaupt noch?
Mårten wusste es nicht. Die Wahrheit war, dass er Schwierigkeiten hatte, seine eigenen Beweggründe zu verstehen.
Vielleicht sollte er Milla einfach sagen, dass aus dem Auftritt bei der königlichen Hochzeit auf keinen Fall etwas werden konnte. Doch dann würde sie sofort abreisen, und eines wusste Mårten mit Sicherheit: Sie durfte nicht gehen, solange er nicht herausgefunden hatte, was er eigentlich für sie empfand.
Ein paar Tage nur, sagte er zu sich selbst. Wem schadet das schon?
Milla hatte ihm ein Ultimatum gesetzt. Am Sonntag wollte sie seine Entscheidung wissen. Ihm blieb also noch bis zum Ende der Woche, um sich darüber klar zu werden, was diese irritierenden Gefühle bedeuteten, die sie in ihm auslöste.
Er würde die Zeit zu nutzen wissen.
“Kommt Mårten denn heute gar nicht zum Frühstück?”, fragte Milla, als sie am nächsten Morgen mit Thorbjörn in der Küche am Esstisch saß.
Der alte Matrose seufzte. “Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass wir ihn heute so bald zu Gesicht bekommen werden. Ich habe heute Nacht von meinem Fenster aus Licht im Musikzimmer gesehen.”
Milla blinzelte überrascht. “Ja, und?”
“Sie können es nicht wissen, aber Mårten betritt diesen Raum nur noch sehr selten, und wenn er es tut, dann ist er danach oft tagelang nachdenklich und vergräbt sich zumeist in seinem Zimmer.”
“Aber warum denn? Thorbjörn, bitte sagen Sie mir: Was ist mit ihm passiert, nachdem wir uns damals getrennt haben?”
Der alte Mann zögerte. “Wussten Sie, dass Mårten ohne Vater aufgewachsen ist?”, fragte er schließlich.
“Ja.” Sie nickte. “Seine Mutter hat ihn großgezogen. Ich habe sie nie kennengelernt, aber soweit ich weiß, war sie eine recht dominante Person.”
“So kann man es auch ausdrücken. Ich bin sicher, dass sie Mårten sehr liebte, aber sie hat ihn in dem Glauben aufwachsen lassen, dass sein Vater sie verlassen hätte, weil er keine Kinder wollte.”
“Stimmte das denn nicht?” Fragend sah sie ihn an, doch Thorbjörn schüttelte den Kopf.
“Mehr kann ich Ihnen dazu beim besten Willen nicht sagen.”
Grübelnd kehrte Milla kurze Zeit später auf ihr Zimmer zurück. Es war vielleicht ganz gut,
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