Wie Tau Auf Meiner Haut
kleine und feine Stiche zu
nähen.
Mit der Wahl ihrer Kleidung hatte sie einen Fehler begangen. Baumwolle würde
erst viel später auf den Markt kommen, und Samt war ein Privileg der
Königshäuser. Kein Wunder, dass Huwe von ihrem Samtumhang derart
begeistert gewesen war! Er hatte sie vermutlich für eine ausländische Prinzessin
gehalten und eine riesige Lösegeldsumme erwartet. Immerhin war ihr
Baumwollkleid ungebleicht und der Stoff nicht veredelt, so dass sie keinen
reichen Eindruck machte. Grace kam offensichtlich nicht aus Schottland, aber ihr
Kleid hatte keinerlei Misstrauen bei Alice oder bei der Waschfrau ausgelöst. Den
Samtmantel würde sie jedoch weiterhin verbergen. Sie wollte eigentlich
nachsehen, ob ihre Tasche immer noch sicher versteckt war, beruhigte sich aber,
dass sie sonst wohl schon lange davon erfahren hätte und es besser wäre,
keinerlei Aufmerksamkeit zu erregen.
Tagsüber schulte Niall seine Männer, ging auf die Jagd oder patrouillierte das
Gelände um die Burg. Falls er mittags auf der Burg essen sollte, so hatte ihn
Grace jedenfalls nicht gesehen. Sie hörte das Klirren der Schwerter, wollte die
Männer jedoch nicht beobachten. Seinen halbentblößten, verschwitzten und
muskulösen Körper zu sehen würde ihr kaum helfen, ihrem Entschluss treu zu
bleiben.
Ein solch umfassendes und heftiges Verlangen hatte sie bisher nicht gekannt.
Obwohl Alice sie den ganzen Tag über beschäftigt hielt, wanderten ihre
Gedanken doch immer wieder zu der teuflisch erfahrenen Berührung ihres
Nackens, zu seinen Küssen, zu dem seidigen Gefühl seiner Haare auf ihrem
Gesicht. Er war einerseits wunderbar wild und ungezähmt, andererseits jedoch
erstaunlich gebildet. Sie konnte dank ihrer Ausbildung und ihres Wissens in
seiner Zeit überleben; er aber würde vermutlich auch ohne diese Vorteile, nur
durch die Stärke seiner Persönlichkeit und der Kraft seines Intellekts in ihrer Zeit
überleben können.
Sie versuchte, an Ford zu denken, aber er schien ihr unendlich weit entfernt. Ein
Jahr war vergangen, in dem sie keines seiner Dinge hatte berühren und Tränen
darüber vergießen können. Sie hatte sich nicht zugestanden, oft an ihn zu
denken. Nun aber, da sie an ihn denken sollte, fiel es ihr schwer, sich sein
Gesicht vor Augen zu führen und sich an seine Stimme zu erinnern.
Vor ihrer Zeitreise war es ihr leichter gefallen, geradeso, als ob der Zeitabstand
ihr früheres Leben vernebelte und es ihr wie ein Traum vorkam. Dieses Leben
hier erschien ihr jetzt ganz und gar wirklich. Niall war eine absolute, lebendige
Tatsache, vital und dominierend. Jeder auf der Burg fügte sich seinen Wünschen
und führte auf die kleinste Andeutung hin seine Anordnungen aus.
Die Männer kamen zum Abendessen zurück und störten die friedliche
Betriebsamkeit mit ihrer angeberischen Männlichkeit. Man hörte Rufe, Flüche,
tiefe Stimmen, das Klirren von Schwertern und Schildern, Getrampel,
Hundegebell und den scharfen Geruch männlichen Schweißes. Als Niall erschien,
wandten sich ihm alle Köpfe zu. Sich umblickend entdeckte er sofort Grace und
nickte in Richtung seines Tisches.
Sie zögerte, aber Alice stieß sie in die Rippen. »Er möchte, dass du bei ihm
sitzt«, bemerkte die alte Frau, eine Tatsache, die auch so offensichtlich genug
war. »Am besten, du machst, was er sagt.«
Grace wollte sich ihm gar nicht widersetzen, aber sie schreckte vor seiner Nähe
zurück. Denn nach ebendieser Nähe sehnte sie sich auch, und genau darin lag
die Gefahr. Langsam ging sie durch die Halle auf den gedeckten Haupttisch zu.
Niall stand erwartungsvoll neben seinem Stuhl.
Entweder hatte er seinen Kopf in eine Wassertonne gesteckt, oder aber er hatte
sich die Zeit genommen, seine Haare zu waschen, denn sie fielen ihm nass und
nach hinten gekämmt über die Schultern. Sein einfaches Leinenhemd war
sauber, sein Karotuch war um seine schlanke Taille befestigt. Ein Messer steckte
in seinem Rockbund, ein zweites in seinem rechten Stiefel. Das riesige Schwert
hing in einer Lederhülle über seinem Rücken. Er nahm es ab und befestigte es
über der Stuhllehne. Sogar an diesem Ort, in seiner eigenen Halle, trug er seine
furchterregenden Waffen ständig bei sich.
Bei genauerem Hinsehen bemerkte Grace, dass ihm dies alle anderen Männer
nachtaten. Niall hatte sie als gebrochene Männer, als Abtrünnige bezeichnet. Sie
waren hartgesottene Männer, die ein hartes Leben lebten, aber
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