Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
lachend.
Am Kaffeetisch widmet sich Helmut mit Hingabe einem Stück Schwarzwälder Kirschtorte und schaufelt bedenklich schwankende Gabelstücke in seinen Mund.
»Erzählt mir doch die Geschichte von Luise«, sage ich, um zum Grund meines Besuches zu kommen.
Beates Tonfall wird leiser und schwächer: »Unsere arme Luise kommt von einem Massenvermehrer und wurde vier Jahre lang als Wurfmaschine in einem dunklen Verschlag mit ein paar anderen Hunden gehalten. Sie ist eine in Deutschland nicht so häufig vertretene Rasse, ein Bosanski Oštrodlaki Goni č ,also eine Brackenart. Als der Vermehrer hochgenommen wurde, wurden nur Rassen in der Fabrikhalle gefunden, die in Deutschland eher selten sind. Er hat durch die Menge an Hunden sicher ein Heidengeld verdient, und es ist eine Schande, dass es immer noch Menschen gibt, die bei solchen Leuten billig Hunde kaufen.« Sie fährt sich erregt durch die Haare, bevor sie weiterspricht. »Das Schlimme ist, dass wir Luise jetzt seit einem halben Jahr haben und sich nichts an ihrem Verhalten verbessert hat. Die Tierschützer, über die wir sie bekommen haben, gaben uns den Rat, den Hund einfach in Ruhe zu lassen, bis er von selber die Nähe zu uns sucht. Aber nach der langen Zeit haben wir jetzt das Gefühl, dass es genau das Falsche war, denn Luise will mit uns nichts zu tun haben und lebt eigentlich nur nachts. Dann hören wir sie trinken, sie frisst und löst sich. Auf der Straße tut sie das nie, und deshalb gehen wir auch schon lange nicht mehr mit ihr hinaus. Wir wollten eigentlich nicht mit einem Hund leben, der sich nicht einmal mit uns sicher fühlt. Das ist schrecklich, und ich könnte jeden Tag weinen.«
Sie sieht zu Boden und fängt tatsächlich zu weinen an. Ihr Mann greift verlegen in seine Hosentasche und reicht ihr ein Taschentuch.
»Danke.« Beate schnaubt hinein und blickt mich hilfesuchend an.
»Und warum solltet ihr Luise in Ruhe lassen?«, frage ich nach.
Der Mann, der seine Kuchengabel weggelegt hat und offenbar mit dem Essen fertig ist, antwortet: »Damit Luise sich langsam eingewöhnen kann.«
»Wir haben bei den Tierschützern mehrfach angerufen und um Hilfe gebeten«, fällt ihm Beate aufgeregt ins Wort. »Sie empfahlen uns, Luise über Nacht kein Futter mehr hinzustellen, damit sie am Tag hervorkommt, um zu fressen. Daraufhin hat Luise vier Tage lang nichts zu sich genommen. Wir sind sogar mehrere Stunden weggegangen, damit sie sich hervortraut. Nichts. In der vierten Nacht nach dem Nahrungsentzug hörte ich sie unter dem Bett hervorkriechen. Sie schien schon keine Kraft mehr zu haben, sich zu bewegen, denn sie kam nur in Etappen vorwärts, aber sie ging auf Nahrungssuche. Das war so schrecklich, dass ich ihr das Futter dann doch wieder über Nacht hingestellt habe. Ich denke, dass sie sonst einfach gestorben wäre. Die Tierschützer sagten jedes Mal, wir müssten Geduld haben und warten, und wir sollten Luise nicht bedrängen, das wäre das Wichtigste. Wir haben uns echt völlig allein gelassen gefühlt mit der Situation.«
»Die Luise kann jetzt bei uns bleiben, bis sie stirbt«, ergänzt Helmut. »Allerdings würden wir nicht noch einmal einen Hund aus dem Tierschutz nehmen. Nie wieder. Er war ja für meine Frau gedacht, die viel allein ist, weil ich auf Arbeit bin. Damit sie rauskommt mit dem Rolli. Das haben wir auch angegeben. Uns wurde gesagt, dass wir für Luise genau die Richtigen wären, weil sie auf Grund ihrer Vorgeschichte sicher ohnehin keine langen Spaziergänge mehr brauche, sondern froh sein würde, ein ruhiges Zuhause zu haben. Nun aber ist weder meiner Frau noch dem Hund geholfen. Jetzt sind wir hier alle eingesperrt, weil wir so falsch beraten wurden«, sagt er ärgerlich.
Ich denke darüber einen Moment nach und sage schließlich in sachlichem Ton: »Ich möchte keine Partei ergreifen, aber ich habe selbst Hunde aus unterschiedlichen Tierschutzorganisationen und bei ihnen eine große Kompetenz in puncto Hundecharakterisierung und Vermittlung erleben können. Auch die Tierschützer, die Luise halfen, haben ja erst einmal ein wunderbares Werk getan, als sie sie befreiten. Es ist nur schade, dass sie euch diese Tipps gaben, denn für Kompetenz spricht ja immer auch zu wissen, wo die eigenen Grenzen liegen. Es ist ein seltsames Phänomen, dass Menschen, die viel mit Hunden zu tun haben, häufig annehmen, es würde von ihnen erwartet, dass sie ganz automatisch auch außerhalb ihres eigenen Fachgebietes Kenntnisse über Hunde
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