Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
mich mit dem Rücken an die Bettverschalung. Obwohl ich nicht die Hoffnung habe, dass sich die Hündin in ihrer festgefahrenen Situation erkundigen wird, wer ich bin, kann sie sich dennoch an meine Anwesenheit gewöhnen. Ich nehme keine Bewegung und kein Geräusch aus ihrer Richtung wahr. Nach fünfzehn Minuten erhebe ich mich langsam und greife dabei nach der Leine. Mit einer ruhigen und gleichmäßigen Bewegung ziehe ich die Hündin unter dem Bett hervor. Dank des glatten Holzbodens rutscht sie in einem Schwung nach vorn. Ihre Augen sind vor Überraschung geweitet. Sie will sofort zurück unter das Bett fliehen und reckt dazu den Kopf ruckartig nach vorn. Ehe sie in Panik geraten kann, drehe ich den steifen Hundekörper in Richtung Flur, greife mit der Innenkante der Hand kurz in ihren Nacken und imitiere ihre eigene Kopfbewegung, indem ich den Kopf mit einem kleinen Ruck nach vorn stupse. Tatsächlich setzt sie sich bei der Wiederholung ihres eigenen Impulses sofort in Gang, diesmal allerdings in die von mir gewählte Richtung. Diese Bewegung nutzend, laufe ich schnell los und nehme sie an der Leine mit in den Flur. Dort erstarrt sie wieder. Noch einmal löse ich ihre Blockade mit einem kleinen Schieber im Nacken, und sie geht weiter. (Es würde nichts nützen, sie nur an der Leine hinterherzuziehen, ohne dass sie an diesem Vorgang beteiligt ist. Dann könnte sie die Handlung niemals selbst wiederholen.)
Ich bewege mich schneller, und wir kommen fast im Laufschritt im Wohnzimmer an. Dort bleiben wir für ein paar Sekunden. Eine kurze Augenbewegung ist alles, was Luise an Regung zeigt. Dann erlischt ihr Blick wieder, und ihr Körper will in sich zusammensacken. Ich fahre mit den Händen behutsam unter ihren Brustkorb und halte sie oben. Sie lässt die Hinterbeine einknicken, deshalb verlagere ich ihr Gewicht nach vorn und hebe Luise hinten etwas an, um zu sehen, ob sie vielleicht ihre Vorderbeine nutzt. Diese »Schubkarrenhaltung« sieht seltsam aus bei einem Hund, ist aber häufig wirksam, weil sie den Hund überrascht und er zumindest losläuft, um ihr zu entkommen. Auch Luise geht vier kleine Schritte auf den Vorderbeinen, und ich lasse dabei ihre Hinterbeine langsam wieder auf den Boden sinken. Sie finden jetzt Halt, und ich laufe, den Schwung ihrer Bewegung nutzend, mit ihr zurück zum Schlafzimmer. Dort angekommen will Luise sich flach auf den Boden pressen. Weil jedoch der Nervenzweig im Gehirn, der für die Wahrnehmung der Gelenk- und Muskelbewegungen zuständig ist, nur im Stehen angeregt wird, greife ich wieder unter sie und hebe sie stützend in eine aufrechte Haltung. Als ich Luise nach ungefähr drei Minuten das erste Mal loslasse, rutscht die Hündin erneut in sich zusammen. Deshalb stütze ich sie weiter unterhalb des Brustkorbs und des Beckens. Beim zweiten Loslassen bleibt sie auf wackeligen Beinen stehen. Ich lasse in meiner Unterstützung in dem Maße nach, in dem sie ihren Stand stabilisiert. Nach wenigen Minuten beginnt Luise leicht hechelnd selbstständig zu stehen.
Ihr Schwanz klebt fest eingeklemmt unter ihrem Bauch. Diese Körperhaltung ist der eines Menschen vergleichbar, der tief in sich zusammengekauert die Arme über seinen Kopf presst. Auch von ihm könnte man nicht erwarten, dass er sich in dieser geschlossenen Körperhaltung entspannt ansieht, wo er ist und was ihn umgibt. Damit Luise aus ihrer tiefen inneren Abschaltung auftauchen kann, muss ich dafür sorgen, dass ihr Schwanz sich nach oben »öffnet«. Während ich mit einer Hand stabilisierend unter ihr Becken greife, nehme ich mit der anderen die Schaumgummischlaufe am Leinenende auf. Ich öffne den Klettverschluss, der sie verschließt, und lege den flachen Schaumgummistreifen ungefähr drei Zentimeter hinter Luises Schwanzwurzel. Dann nehme ich die zweite Hand zu Hilfe, wickele den Streifen um den Schwanz und lege das Klettband über den Schaumgummi. Jetzt kann ich die Leine einhändig wie einen Henkel benutzen. Mit ihrem hinteren Ende hebe ich Luises Schwanz nach oben und mit dem vorderen halte ich sie an ihrem Geschirr fest.
In einem ganz kleinen Winkel dreht die Hündin den Kopf nach hinten, als wolle sie herausfinden, was da mit ihrem Hinterteil passiert. Dieser erste Versuch einer Orientierung ist ein Hinweis darauf, dass Luise aus ihrer inneren Abschaltung auftaucht. Ich warte deshalb ein paar Minuten ruhig, bis sie den Kopf wieder nach vorn nimmt und diese Empfindung verarbeiten konnte. Mit dem kurzen
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