Wie weit du auch gehst ... (German Edition)
erheiterte Miene sah, bröckelte ihre selbstsichere Haltung. Allmählich begann ihr wohl zu dämmern, dass sie einer vollkommen anderen Frau gegenüberstand als vor vier Jahren.
Constanze dirigierte sie geradewegs ins Bad, nahm ihr die Handtasche ab und legte sie aufs Bett. »Wenn du dich bitte ausziehen würdest …?«
»Was?« Andrea starrte sie fassungslos an. »Nein. Warum sollte ich?«
Constanze holte kommentarlos die Waffe unter der Jacke hervor.
»Dreckiges Miststück, scher dich doch zum Teufel«, giftete Andrea, machte sich aber augenblicklich daran, ihr Kleid zu öffnen.
Constanze ging nicht auf die Beleidigung ein. Sie hatte zu Michaels Zeiten weit Schlimmeres gehört – und erlebt. Unbeeindruckt zeigte sie auf Andreas Füße. »Die Schuhe auch.« Geduldig verfolgte sie, wie sich Andrea auszog. Als sie die blauen Flecken und Bisse auf deren Haut entdeckte, kam ihr fast die Galle hoch.
»Gott Andrea, warum tust du dir das an?«, flüsterte sie, ehe sie die Worte zurückhalten konnte. Die Erinnerung an den Schmerz und die Demütigung nahm ihr jede Luft zum Atmen.
Einen Wimpernschlag lang huschte so etwas wie Qual über Andreas Miene, dann bekamen ihre Augen einen harten Glanz. »Du hast nie begriffen, worum es dabei geht. Michael gibt mir alles, was ich will. Geld, Schmuck, Macht. Das hier«, sie wies beiläufig auf die Male, »ist der Preis dafür. Du warst einfach zu schwach, ihn zu bezahlen.«
Constanze schüttelte den Kopf und sah ihr geradewegs in die Augen. »Nein, der Preis war mir zu hoch. Geld, Schmuck, Macht«, wiederholte sie leise, »für nichts auf der Welt würde ich mit dir tauschen, Andrea.«
»Er will dich ohnehin nicht mehr«, schoss diese zurück. »Mit mir kann er Dinge erleben, von denen du nicht mal zu träumen wagst.« Sie lächelte triumphierend.
»Das freut mich für dich«, erwiderte Constanze.
Michael hatte Andrea gegenüber wohl nicht erwähnt, dass er seiner Exfrau angedroht hatte, sie wieder in sein Bett zu zwingen …
Schweigend gab sie Andrea Jeans und Sweatshirt als Ersatz für ihre Kleidung.
Überzeugt, Constanze ausgestochen zu haben, streifte sich die Blondine die Sachen über. Obwohl sie ungefähr gleich groß waren, bekam sie die Hose nicht zu. Hasserfüllt musterte sie Constanze.
Sie verkniff sich ein Lächeln. »Keine Angst, du musst damit nicht in die Öffentlichkeit. Und für hier drinnen genügt es vollauf.« Mit diesen Worten griff sie nach der Badezimmertür und zog sie der verblüfften Andrea direkt vor der Nase zu. Sorgfältig drehte sie den Schlüssel und nahm ihn an sich.
Andrea schlug erfolglos gegen die in Schweizer Gründlichkeit gebaute Tür. »Damit kommst du nicht durch, du Schlampe! In drei Minuten habe ich das ganze Dorf zusammengeschrien, und dann wird Michael dir endgültig den Garaus machen.«
Constanze beugte sich dicht an das Holz: »Du kannst schreien und toben, so viel du willst, Andrea. Es kommt niemand. Die Hauptsaison ist längst vorbei, du bist der einzige Gast. Außerdem wäre ich an deiner Stelle etwas höflicher. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Lichtschalter auf meiner Seite der Tür ist.« Demonstrativ betätigte sie ihn mehrmals.
Schlagartig verstummte im Badinneren jedes Geräusch. Constanze nickte zufrieden. Der kleine Raum hatte keine Fenster und vor Jahren hatte Andrea ihr einmal erzählt, sie fürchte sich im Dunkeln. Offenbar hatte sie damals nicht gelogen.
»Ich sehe schon, wir verstehen uns.« Constanze wandte sich ab. »Ich bin in ein paar Minuten zurück.« Natürlich brauchte sie in Wahrheit mehrere Stunden, aber das musste Andrea ja nicht wissen. Je weniger sie ihr erzählte, desto besser.
»Dafür wirst du bezahlen. Warte nur, wenn Michael dich in die Finger kriegt,« keifte Andrea erneut los, allerdings erheblich leiser. »Er wird dich umbringen. Hast du verstanden? Er wird dich umbringen!«
»Du wiederholst dich.« Constanze wandte sich ab. Die Zeiten, in denen sie sich von Worten hatte einschüchtern lassen, waren definitiv vorüber.
Ohne das gewaltige Schimpfen weiter zu beachten, legte sie das blaue Kleid samt Schuhen aufs Bett, dann griff sie nach Andreas Handtasche und kippte den Inhalt heraus. Sofort blieben ihre Augen an dem dünnen Terminbüchlein hängen, das die Frau schon vier Jahre zuvor ständig mit sich herumgeschleppt hatte.
So viel zu Andreas Gründlichkeit. Einmal Sekretärin, immer Sekretärin. Constanze schlug es auf und blätterte zum aktuellen Datum. Als sie die vielen
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