Wie weit du auch gehst ... (German Edition)
Plastikflasche mit Saft in die Hand und schloss kurzerhand wieder die Tür.
»Was soll das? Was soll ich denn mit dem Mist?« Ein lauter Rums bezeugte, dass Andrea die Flasche gegen die Wand geworfen hatte. Constanze schüttelte den Kopf. Was für eine Furie.
Sie trat dicht vor die Tür. »Ich weiß, du hast dir dein Abendessen heute etwas nobler vorgestellt, aber wenigstens musst du bis morgen nicht hungern. Sieh’s mal so.«
»Wieso bis morgen?«, fauchte die Sekretärin durch die Tür zurück. »Du kannst mich doch nicht die ganze Nacht hier drin eingesperrt lassen.«
»Doch. Ich kann und ich werde. Die Putzfrau kommt morgen früh gegen zehn Uhr. Bis dahin musst du dich leider gedulden.« Hinter der Badtür entlud sich eine ganze Tirade wüster Beschimpfungen. Constanze hörte nicht mehr zu. Sie musste sich ohnehin beeilen. Ein rascher Kontrollblick auf die Uhr bestätigte ihr, dass inzwischen nur noch knapp eineinhalb Stunden Zeit blieben, Silas zu befreien.
In Windeseile lackierte sie ihre Fingernägel, dann schminkte sie ihre Lippen mit dem Lippenstift aus Andreas Handtasche und setzte die Sonnenbrille auf.
Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Nur einem genauen Beobachter würde auffallen, dass sie nicht Andrea Kressfeld war. Und Constanze hatte nicht vor, jemandem derart nahe an sich heranzulassen, um den Schwindel aufdecken zu können.
Sie holte tief Luft und schnappte sich die Autoschlüssel. Showtime!
Mit der Eleganz jahrelanger Übung stöckelte sie durch das Zimmer und trat ins Freie. Als sie den Motor des Mercedes startete, begannen ihre Finger merklich zu zittern. Langsam ließ sich nicht mehr verdrängen, welch waghalsiges Manöver vor ihr lag. Von nun an hing alles von ihr ab, und nur von ihr. Nur sie allein konnte dieses Unterfangen zum Erfolg bringen – oder zum Misserfolg …
Auf der Fahrt zu Michaels Anwesen ermahnte sie sich unentwegt zur Ruhe. Sie würde es schaffen. Sie würde Silas retten. Alles würde gut gehen. Constanze sprach sich diese Worte so oft vor, bis sie sich einem Mantra gleich von allein in ihrem Kopf wiederholten. Es half. Zumindest kurzfristig, denn als sie in die Auffahrt zu Michaels Haus einbog, klopfte ihr Herz augenblicklich wieder so laut, dass sie froh über das Dröhnen des Motors war. Als sie bemerkte, wie ihre Geschwindigkeit unmerklich abnahm, drückte sie entschlossen aufs Gas. Andrea war eine rücksichtslose Fahrerin. Im Schneckentempo die Auffahrt heraufgekrochen zu kommen, war der denkbar dümmste Weg, das Misstrauen der beiden Wachposten auf sich zu lenken.
Obwohl die Männer oft die Schicht wechselten, erkannte Constanze die beiden Wachposten am Tor sofort. Sie waren auch schon Jahre zuvor Teil von Michaels Truppe gewesen. Die beiden Stiernacken waren zwar gehorsam und skrupellos, zeichneten sich aber nicht gerade durch gesteigerte Intelligenz aus. Umso besser. Trotzdem fahndete Constanze angestrengt nach den Namen der Männer, aber so sehr sie sich auch bemühte, es fiel ihr nur der des kleineren Mannes ein. Constanze schüttelte ihr Unbehagen ab. Wenigstens ein Name. Immerhin besser als gar keiner.
Knapp vor dem schmiedeeisernen Tor bremste sie scharf und erzeugte damit eine kleine Staubwolke auf dem Kies. Der Mann, an dessen Namen sie sich nicht erinnern konnte, trat vor und tippte sich kurz an die Stirn. »Tag, Frau Kressfeld. Ham se was vergessen?«
Constanze straffte ihre Schultern. »Wonach sieht’s denn aus?«, blaffte sie zurück. »Los, machen Sie schon das Tor auf. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
Augenblicklich trat der Mann zurück. »Entschuldigung. Natürlich.« Er griff sofort hinter sich und drückte einen Knopf. Leise glitt das Tor auf. Constanze sah ihn entgeistert an. Es hätte nicht viel gefehlt, und ihr wäre auch noch der Kiefer heruntergeklappt. Es war so einfach gewesen. Kaum zu glauben, was ein schroffes Auftreten alles bewirken konnte. Hastig riss sie sich zusammen, drehte hochmütig den Kopf und brauste durch das halb offene Tor.
Kaum war sie außer Sichtweite, fiel die arrogante Haltung von ihr ab. Um ihren rasenden Puls zu verlangsamen, atmete sie mehrmals tief durch. Die erste Hürde wäre geschafft … Jetzt musste sie nur noch Silas finden, ihn in den Kofferraum packen und wieder verschwinden. Nur noch …
Constanze war sich durchaus im Klaren, dass sie eine verdammt gute Ausrede brauchte, wenn jemand auf die Idee kam, sie zu fragen, was sie bei dem Gefangenen zu suchen hatte. Dieser Frage entging sie
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