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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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musst dich doch gefragt haben, wie er darauf gekommen ist?«
    »Er erklärte, er habe Miss Woodward am Tag zuvor ziemlich aufgebracht in ihr Elternhaus laufen sehen. Einzelheiten erwähnte er nicht. Und da er gehört habe, wie ich sie angebrüllt und bedroht hatte – so drückte er sich aus –, wollte er von mir die Zusicherung, dass ich nicht die Hand gegen sie erhoben hatte. Ich sagte, er könne mich mal, und damit war die Sache erledigt. Ehrlich gesagt glaubte ich an ein Missverständnis. Ich war zwar überrascht, dass Julia verzweifelt davongelaufen war, aber leid tat es mir nicht. Ich wollte , dass sie in irgendeiner Weise litt.«
    Reggie sagte, er habe sein Versprechen gehalten. Nach der Szene am See habe er Julia Woodward nie wiedergesehen. Wenige Tage nach seiner Ankunft in London habe er einen Brief von ihr erhalten und vernichtet, ohne ihn zu lesen. Er gab Julia und Harry gleichermaßen die Schuld. Reggie war immer nachtragend gewesen.
    Danach erhielt er keine Briefe mehr von ihr. Reggie mied seinen Bruder, und wenn sich ihre Wege kreuzten, schnitt er Harry. Sein Zorn trug ihn in den Mahlstrom der Schützengräben, wo seine Bitterkeit und sein verletzter Stolz schließlich drängenderen Sorgen wichen. Von den Schlachtfeldern Frankreichs aus betrachtet, sah die Welt ganz anders aus, und irgendwann bemerkte er, dass sein Zorn verflogen war. Den Briefen seiner Mutter entnahm er, dass Julia noch immer unverheiratet war. Einen Skandal hatte es nie gegeben. Das wunderte ihn ein wenig, denn er wusste nichts von der Fehlgeburt, deretwegen sie Dr. Thomson aufgesucht hatte.
    »Ich habe ihr geschrieben, Tom. Ich schrieb ihr, dass ich nicht mehr zornig sei und sich meine Gefühle für sie nicht verändert hätten. Dass ich auch nach all der Zeit keine andere Frau als sie heiraten wolle. Natürlich habe ich den Brief nie abgeschickt. Mein Urlaub stand kurz bevor, und ich hatte die Absicht, ihn kurz vor meiner Ankunft abzusenden. Doch der Urlaub wurde gestrichen und der nächste aufgeschoben. Ich kam erst acht Monate später nach Hause. Und dann sagte man mir, Julia sei tot.«
    Wir schwiegen, während der Wagen über die Löcher und Rillen holperte.
    »Du weißt, dass sie sich das Leben genommen hat, Tom, oder?«
    »Ich habe so ein Gerücht gehört.«
    »Und weißt du auch, warum?«
    »Es hatte angeblich etwas mit ihrem Cousin zu tun. Ich nehme an, dass sie ohnehin in einem schrecklichen Zustand war, nachdem sie so viel durchgemacht hatte …«
    Doch Reggie schüttelte ungeduldig den Kopf. »Überleg doch mal, wann genau das war. Sie hat nicht um einen Cousin getrauert.«
    Während er sprach, wirkten seine Augen seltsam leblos, wie vom Schmerz betäubt.
    »Sie hat sich drei Tage, nachdem die Nachricht von Harrys Tod Hannesford erreicht hatte, umgebracht. Natürlich hat niemand den Zusammenhang gesehen. Wie auch? Mir aber war es sofort klar.«
    Er lächelte gezwungen.
    »Da war ich nun, hoffte noch immer, sie zu heiraten, und wieder stand mir mein großer Bruder im Weg. Mein toter Bruder. Ich kam immer an zweiter Stelle hinter Harry. Die Geschichte meines Lebens.«
    »Aber du weißt doch nicht mit Sicherheit, weshalb sie es getan hat. Es kann auch ein Zufall gewesen sein. So wie er sie behandelt hat, hätte sie ihn doch eher hassen als lieben müssen.«
    »Nein. Sie hat nie aufgehört, ihn zu lieben.«
    »Das kannst du nicht wissen.«
    Reggie drehte sich um und sah mich an. »Zufällig weiß ich das sehr wohl.«
    Statt weiterzusprechen, deutete er auf den Straßenrand.
    »Halt bitte an. Ich muss pissen.«
    Ich musste ihn hochheben und ihm aufs Trittbrett helfen, bevor ich mich diskret zurückzog. Trotz der schwierigen Situation blieb er überraschend gleichmütig.
    »Das mag demütigend gewesen sein«, sagte er, als der Daimler wieder anrollte, »aber es war immerhin weniger demütigend als die kleine Schwester Withers mit ihrer Bettpfanne.« Er deutete auf das wilde Moor. »Man sollte nie das Glück unterschätzen, im Freien zu pissen.«
    »Du wolltest mir noch etwas erzählen.«
    »Ach ja? Ich glaube nicht. Ich habe für heute genug gequatscht.«
    Wir fuhren schweigend weiter, während ich über seine Geschichte nachdachte. Ich spielte mit dem Gedanken, ihn zu fragen, wie das Notizbuch des Professors zwischen seine Sachen geraten sei. Auch der Frage nach Julia Woodwards Verletzungen war er ausgewichen. Offenbar hatte Reggie nochmehr zu erzählen. Dennoch gab ich mich damit zufrieden, auf den richtigen Augenblick zu

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