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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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keinen Empfang wünsche.«
    Doch der alte Mann verbeugte sich ungerührt. Im Laufe seines Lebens hatte er die Kunst, ganz und gar unaufdringlich zu sein, perfektioniert. Und auch in dieser außergewöhnlichen Situation wirkte er ruhig, so als würden bestimmte Handlungen von einem Ehrenkodex und einem Respekt diktiert, die weitaus mächtiger waren als die Launen eines einzelnen Menschen.
    »Bedaure, Sir, aber ich war nicht in der Lage, dem Personal Ihre Wünsche in dieser Angelegenheit zu vermitteln. Die Opfer, die die Familie im vergangenen Konflikt gebracht hat, sind für uns hier in Hannesford ein Grund, stolz zu sein, und alle waren sehr aufgewühlt. Ihre Rückkehr bedeutet uns sehr viel. Wenn ich nun helfen dürfte …«
    Ich rechnete mit einem Fluch oder einer heftigen Entgegnung von Reggie oder dass Lady Stansbury mit eisiger Beherrschung die Kontrolle übernehmen würde. Doch sie wirkte schockiert, wie betäubt aus Angst vor Reggies Zorn, und einen qualvollen Augenblick lang erinnerte das Schweigen an den unglaubwürdigen Höhepunkt eines Melodramas. Dann nickte Reggie ganz langsam.
    »Na schön, Rowse«, sagte er und ließ sich still in den Rollstuhl heben.
    Erst als sich der Butler umdrehte, um ihn zum Haus zu schieben, bemerkte ich die Tränen auf Reggies Wangen, und ich erlebte plötzlich kein Melodrama mehr, sondern etwas Unverfälschtes, Schmerzliches, Bewegendes. Reggie unternahm keinen Versuch, die Leute zu grüßen, die ihn willkommen hießen. Er schaute einfach geradeaus, während ihm die Tränen übers Gesicht liefen. Niemand sagte ein Wort. Es gab keine Zeremonie, keine Rede. Und als Reggie im Haus verschwunden war, lösten sich die beiden Reihen unter leisem Gemurmel auf. Mir war, als hätten sie etwas zurückgelassen. Ein Gefühl der Würde vielleicht. Der Erbe von Hannesford war aus dem Krieg heimgekehrt.
    Als ich am Nachmittag ins Dorf ging, warf die Sonne lange Schatten. Anne hieß mich lächelnd im Pfarrhaus willkommen.
    »Ihre Nachricht klang sehr förmlich. Ist alles in Ordnung?« Sie bat mich in den Flur, aber nicht weiter. »Mrs Uttley schläft, und Miss Walker wollte gern bei ihr sitzen bleiben. Daher dachte ich mir, wir könnten einen Spaziergang zu den Shepherds machen. Es wird erst in einer halben Stunde dunkel.«
    Sie plauderte weiter, während sie sich fertig machte, und als wir nach draußen traten, erkundigte sie sich nach Reggie. Also erzählte ich von unserem Gespräch im Falcon und seiner Rückkehr nach Hannesford Court. Reggies Geschichteschien sie tief zu berühren. Als ich ihr einen Seitenblick zuwarf, schaute sie zu Boden, von Gefühlen überwältigt.
    »Insgesamt eine sehr traurige Geschichte«, schloss ich, »vor allem für Julia Woodward. Kann sie Harry wirklich so sehr geliebt haben, selbst da noch? Es ist kaum zu glauben.«
    »Ich glaube es schon.« Anne sah nach vorn, wo sich der Weg bergauf wand. »Natürlich nicht den richtigen Harry. Sie liebte den Harry, den sie in ihm sah, der die Erfüllung ihrer Träume bedeutete. Die Ärmste. Solange er lebte, konnte sie glauben, er werde eines Tages zu ihr zurückkehren.«
    »Meinen Sie wirklich, er hat ihr so viel bedeutet?«
    »Ja, dessen bin ich mir sicher.« Sie zögerte und zog den Mantel enger um sich. »Er gibt also zu, dass er an jenem Tag Julia Woodward gegenüber die Beherrschung verloren hat, aber nicht mehr?«
    »Genau. Trotzdem glaube ich, dass er mir etwas verschweigt. Ich habe ihn in Ruhe gelassen, weil er müde wurde.«
    Eine Zeitlang sprachen wir über Reggies Rückkehr und Freddie Masters’ Befürchtung, er könne eine Szene machen: Sowohl der Gedenkgottesdienst als auch der Ball boten ausgezeichnete Gelegenheiten, um Unruhe zu stiften. Dann unterhielten wir uns über den Neujahrsball.
    »Ich freue mich darauf«, verkündete Anne. »Zum ersten Mal bin ich nicht auf irgendeine Weise im Dienst . Und ich habe vor, dass Beste daraus zu machen. Ich werde den ganzen Abend tanzen!«
    »Tanzen Sie gerne?« Soweit ich mich erinnerte, hatte sie selten getanzt.
    »Durchaus. Mit den richtigen Partnern. Die invaliden Ehemänner von Lady Stansburys älteren Freundinnen zählen nicht dazu.«
    »Diesmal gibt es möglicherweise wenig Auswahl. Es herrscht ein ziemlicher Mangel an jungen Männern.«
    »Dann müssen Sie mit mir tanzen.« Sie strahlte mich an. »Wissen Sie, dass wir beide in all den Jahren höchstens ein Dutzend Mal miteinander getanzt haben? Das ist doch seltsam. Dabei kommt es mir in den letzten Tagen vor,

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