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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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endgültiges Entkommen greifbar nahe war. Nach einem Vorstellungsgespräch in London hatte man mir eine Stelle in Südafrika zugesagt, und nun, da mein Weg vorgezeichnet und meine Zukunft gesichert waren, schien der Gedanke, für einige wenige Stunden nach Hannesford Court zurückzukehren, kein so großes Zugeständnis mehr.
    Dennoch zögerte ich, als mich der Wagen der Stansburys an diesem Wintermorgen auf der kiesbestreuten Auffahrt absetzte. In meine alte Rolle zu schlüpfen, verursachte mir Unbehagen, und als ich mich mit Mrs Hodge zusammensetzte, um die Vorbereitungen für Reggies Heimkehr zu besprechen, hätte ich beinahe vergessen, wie sehr sich die Zeiten geändert hatten. Es war, als könnte Harry jeden Augenblick hereinplatzen, als würden sich Oliver Eastwell oder die Everson-Brüder in eine ihrer Eskapaden stürzen.
    Doch als ich innehielt und horchte, bemerkte ich die Stille. Kein Harry, kein Oliver. Hannesford war früher nie so still gewesen. Als Tom am späten Vormittag zur Tür hereinschaute, schlug mein Herz beim Klang seiner Stimme schneller. Doch ich widerstand der Versuchung und blieb bis kurz nach dem Mittagessen auf meinem Posten. Als ich schließlich zu ihm ging, schien die Sonne, und er freute sich auf einen Spaziergang mit mir.
    Den Rest des Nachmittags verbrachte ich in Reggies Schlafzimmerund sorgte dafür, dass die wichtigen Gegenstände in sein neues Zimmer gebracht wurden. Es war bedrückend, seine Sachen durchzugehen und zu entscheiden, welche davon ihm die Rückkehr möglichst angenehm gestalten konnten. Es kam mir falsch vor, dass ausgerechnet ich das tat. Die Aufgabe hätte jemand übernehmen sollen, der ihn besser kannte als ich, der wusste, welche kleinen Dinge ihm Freude bereiten würden. Doch ich war allein. Ich überließ Evans die Kleidungsstücke und konzentrierte mich auf Reggies übrige Habseligkeiten.
    An der Wand über seinem Bett hing ein Gemälde, das Jagdhunde auf dem dämmrigen Moor zeigte. Das könnte man mitnehmen, ebenso die Fotos, die auf seiner Frisierkommode standen: eins von seiner Schwester Susan und, was mich mehr überraschte, ein Jugendbild seiner Mutter, noch schön, der Blick leicht verträumt, als blickte sie in eine Welt jenseits der Kamera.
    Andere Dinge waren schwerer zu beurteilen. War das lederne Hundehalsband neben seinem Bett ein kostbares Andenken an ein geliebtes Tier, oder hatte Reggie es am Morgen seiner Abreise einfach nur achtlos fallen lassen? Ich würde Evans danach fragen. Ich fand keine Bücher, doch eine Kiste unter seinem Bett war vollgestopft mit Papieren und Zeitschriften – verblichene Programme längst vergessener Pferderennen, Ausschnitte aus Sportmagazinen, alte Rechnungen von Lamingtons of London. Dazwischen verstreut fanden sich andere Dinge: ein Zigarettenetui, Dosen für Streichholzschachteln, Kragenknöpfe, eine alte Schnupftabakdose, ein Frauenknopf mit einem Stück Stoff daran. Zusammengenommen wirkten sie wie Gegenstände, die er achtlos weggeworfen hatte. Dennoch hatte diese Sammlung etwas Intimes, so dass ich mir wie ein Eindringling vorkam, und ich wollte gerade alles wieder in die Kiste räumen, als mein Blick auf einen kaputten Manschettenknopf fiel. Die plötzlichen Erinnerungen überraschten und schockierten mich.
    Er hatte Oliver Eastwell gehört. Es war ein auffälliges Muster, ein Bienenkorb in Gold und Weiß. Ich konnte mich sogar an den Abend erinnern, an dem er sie zum ersten Mal getragen hatte. Er hatte das Paar eigens anfertigen lassen, um an den Sieg eines Rennpferdes namens Beehive in Newmarket zu erinnern. Oliver hatte unter dem Spott seiner Clique auf den Außenseiter gesetzt. Er hatte seinen aufstöhnenden Freunden voller Stolz die neuen Manschettenknöpfe präsentiert und gedroht, sie während seines Aufenthalts jeden Abend zu tragen. Ich lächelte, als ich daran dachte. Es war typisch Oliver gewesen – extravagant, ein bisschen albern, immer darauf bedacht, die Erwartungen seiner Freunde zu erfüllen.
    Ich erfuhr von seinem Tod, als ich in Frankreich und zu beschäftigt war, um darüber nachzudenken. Er war kaum mehr als ein weiterer Toter auf der Liste gewesen, ein weiterer Name unter vielen. Manchmal war es mir schwergefallen, mich daran zu erinnern, wer noch lebte und wer tot war. Doch der Anblick dieses prächtigen, ein wenig geschmacklosen Manschettenknopfes ließ den Menschen, an den ich mich erinnerte, wieder aufleben, und ich hielt betroffen inne, weil ich seinen Verlust zum ersten Mal

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