Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiedersehen in Harry's Bar

Wiedersehen in Harry's Bar

Titel: Wiedersehen in Harry's Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Schreiber
Vom Netzwerk:
zittern. Ich stolperte weiter, spürte, wie mir der Strom durch die elektrisierte Wirbelsäule von der Hirnbasis bis zu dem von der Menschheit schon vor zwei Millionen Jahren für überflüssig befundenen Tierschwanz hinabfuhr. Ich war bereit, in die Ursuppe einzutauchen und mein Glück mit den Einzellern zu versuchen – vielleicht hatten sie es gar nicht so schlecht getroffen, indem sie einfach dort geblieben waren.
    Stimmen von draußen, wütend, drängend – Soldatenoder Polizisten, so hörte es sich an, die etwas auf Italienisch riefen.
    »Scheiße, wer ist das?«
    »Wahrscheinlich Carabinieri.«
    »Kara ben was?«
    »Das erkläre ich dir später, falls wir da noch am Leben sind«, sagte sie. »Aber jetzt musst du erst … Wie heißt das noch gleich? Deinen Teil der Abmachung einhalten?«
    BUMM! BUMM! BUMM! Noch mehr wütende Stimmen, die Befehle erteilten und irgendwelche Aufforderungen brüllten, Stimmen, die sich immer mehr nach Mussolinis Schwarzhemden auf einer Sauftour anhörten.
    »Was soll ich denn machen?«
    Sie hob den Reisekoffer an einem seiner Tragegriffe hoch und zerrte ihn in Richtung Balkon. »Anheben. Jetzt.«
    »Was? Warum?«
    Sie deutete über den Balkon, hinunter auf den Kanal.
    »O nein. Auf gar keinen Fall.«
    »Wir müssen die Leiche loswerden, bevor …« Sie nickte zur Tür, wo das Klopfen auf einmal verdächtig und nichts Gutes verheißend verstummt war.
    »Vergiss es!«
    Sie richtete die Pistole auf mich. »Schön, dich wiedergesehen zu haben, Perry.«
    »Warte, immer langsam. Ich will da nicht mit reingezogen werden.«
    »Du hängst schon mit drin.«
    Klick. Die Waffe war entsichert. Diskussion beendet. Ich packte den Lederriemen und hob mein Ende des Koffers an. Dabei spürte ich, wie etwas darin wie ein kleines Fässchen auf meine Seite rollte, die plötzlich viel schwerer wurde.Dann schleppten wir den Koffer auf den Balkon und wuchteten ihn auf das schmiedeeiserne Geländer. Ich warf einen kurzen Blick nach unten. Vier Stockwerke unter uns glitzerte der Canal Grande in der Dunkelheit, reflektierte tausend schimmernder Lichtjuwelen von den Hotels und den anderen Gebäuden auf der anderen Seite. Venedig sieht dann am reizvollsten aus, wenn man es dazu benutzt, eine Leiche loszuwerden.
    Dann stieß Gobi den Koffer über das Geländer, und er fiel.
    Auf die ungewöhnlich lange Stille folgte ein Platschen von unten, im gleichen Augenblick flog die Hoteltür hinter uns auf. Als ich mich zu Gobi umdrehte, kletterte sie bereits über das Geländer in die Nacht hinaus.
    »Was machst du da?«
    Sie ließ das Geländer los und war im nächsten Moment verschwunden.

11
    »Jump«
    – Van Halen
    Meine Entscheidung, mich über das Geländer zu schwingen, war der reinste Reflex und hatte mit rationaler Überlegung nicht das Geringste zu tun. Es war eher wie eine Abfolge klarer, einfacher Bilder – Kabuki Risikoabwägung, niemandem empfohlen, der jemals seine Handlungen gegenüber den Behörden zu rechtfertigen gedenkt.
    Ich sah, wie sich von der anderen Seite der Suite Männer durch die offene Tür drängten, Männer in langärmeligen schwarzen Pullis und schwarzen Hosen. In den Händen hielten sie Automatikwaffen, Maschinenpistolen, schwere Artillerie. Wenn diese Jungs Bullen waren, dann verfügte Venedig über ein gewaltiges paramilitärisches Budget. Ich sah noch die Kupferdrähte vom Kartenschloss herunterbaumeln, das sie einfach deaktiviert hatten.
    Der erste Mann sah mich direkt an, sein Gesicht kam mir sofort bekannt vor. Im Unterschied zu den anderen trug er einen Anzug.
    Du hast es also gefunden.
    Deine kleine Touristenfalle.
    Im nächsten Augenblick war ich über dem Geländer. Der Hotelbademantel flatterte in der kühlen Nachtluft um meine nackten Beine, und meine nassen Zehen klammerten sich um die Außenkante des Balkons.
    Der erste Mann rief etwas auf Italienisch und richtete seine Pistole auf mich.
    Ich ließ los.
    Mit wild im Nichts herumfuchtelnden Armen, als könnte mir jeden Augenblick einfallen, wie man fliegt, kippte ich nach hinten und unten weg und schien sehr, sehr lange zu fallen. Lange genug, um zu denken: Ich habe meinen Bass im Zimmer stehen lassen, und dann: Das tut jetzt bestimmt gleich sauweh, während die Männer von oben weiter auf mich einbrüllten.
    Und dann der Schmerz, der sich wahrscheinlich in jeder Sprache gleich anfühlte. Das Wasser presste mich zusammen, der Aufprall beförderte die Luft aus meinen Lungen, und ich hätte geschworen, dass ich einen

Weitere Kostenlose Bücher