Wiedersehen macht Liebe (German Edition)
ist eine gute Sache, Kyle«, sagte sie. »Denken Sie nur daran …«
Der Zug, der direkt über ihren Köpfen hinwegrauschte, machte es ihm unmöglich, sie zu verstehen. Kyle deutete auf sein Ohr und schüttelte den Kopf. Sie trat näher an ihn heran und legte ihre Hand auf seine Schulter. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und sprach direkt in sein Ohr.
Ihr Atem kitzelte sanft an seinem Hals und ihre Stimme in seinem Ohr. »Vermasseln Sie es nicht!«
Er drehte seinen Kopf, sodass sie sich ansahen. Seine Lippen waren nur wenige Zentimeter von ihren entfernt. Einen Moment lang schwieg er, genau wie sie. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass sie den Atem anhielt, und er bemerkte die Wärme ihrer Hand auf seiner Schulter.
Kyle spürte das plötzliche Verlangen, sie an sich zu ziehen. Er hatte sie im Diner wegen des Kusses aufgezogen, aber wenn er durch die vergangenen vier Monate nicht vollkommen aus der Übung gekommen war, waren die Schwingungen, die in diesem Moment von ihr ausgingen, sehr echt. Wenn er seinen Kopf nur ein wenig neigte, würden seine Lippen ihre berühren. Und er konnte herausfinden, ob sie so gut schmeckte, wie er es in Erinnerung hatte.
»Wie sieht es mit den acht Minuten aus, in denen wir uns gut verstehen?«, fragte er heiser.
Zuerst blieb Rylann, wo sie war, ihre Lippen immer noch nah an seinen. Dann legte sie den Kopf schief und blickte ihm in die Augen. »Die Zeit ist um.«
Sie trat einen Schritt zurück, drehte sich um und ging davon, während das Dröhnen der Hochbahn über ihnen langsam leiser wurde.
Zurück in der Sicherheit ihres Büros schloss Rylann die Tür hinter sich und seufzte.
Das war viel zu knapp gewesen.
Als Anwältin gab es für sie gewisse Grenzen, die sie niemals überschreiten würde. Und sich mit einem Zeugen einzulassen, gehörte definitiv dazu. Sie und Kyle konnten ein wenig herumalbern, und eine gelegentliche Anspielung auf einen neun Jahre alten Kuss war ebenfalls in Ordnung, aber solange sie seine Aussage im Brown-Fall benötigte, durfte es keinesfalls weiter gehen.
Rylann fuhr sich mit den Händen durch die Haare, sammelte sich und nahm an ihrem Schreibtisch Platz. Sie war froh, sich mit der Arbeit ablenken zu können. Also überprüfte sie, ob sie Nachrichten bekommen hatte. Zuerst hörte sie ihre Mailbox ab, dann wandte sie sich dem Computer zu. Sie hatte gerade begonnen, ihre ungelesenen E-Mails durchzuscrollen, als sie etwas sah, was sie vollkommen überraschte.
Eine Nachricht von Jon.
Es gab keinen Betreff, daher zögerte sie, die E-Mail anzuklicken, da sie nicht wollte, dass die Vorschau auf ihrem Bildschirm auftauchte. Sie brauchte erst mal eine Minute, um diese unerwartete Entwicklung zu verarbeiten.
Sie warf einen Blick auf ihren Schreibtischkalender und stellte fest, dass es in einer Woche offiziell sechs Monate her sein würde, seit sie das letzte Mal Kontakt miteinander gehabt hatten. Sie waren damals übereingekommen, dass sie sich weder anrufen noch E-Mails schicken würden, weil sie der Meinung gewesen waren, dass es dadurch leichter werden würde, über die Trennung hinwegzukommen. Doch jetzt hatte er gegen diese Abmachung verstoßen.
Normalerweise war Rylann nicht zögerlich, doch sie erwischte sich dabei, wie sie über ihren nächsten Schritt nachdachte. Ein Teil von ihr wollte die E-Mail einfach ungelesen löschen, aber das erschien ihr zu verbittert. Und auch wenn sie bezüglich des Umstands, dass Jon sie kontaktierte, natürlich gemischte Gefühle hegte, stellte sie erfreut fest, dass Verbitterung nicht dazugehörte. Außerdem konnte es ja sein – auch wenn sie es natürlich nicht hoffte –, dass er ihr eine schlechte Nachricht überbringen musste. In diesem Fall würde sie sich schrecklich fühlen, wenn sie nicht antwortete.
Aber darüber hinaus gab es auch einen kleinen Teil von ihr, der neugierig war. Vermisste er sie? Als praktisch denkende Person – und als solche sah sie sich – fand sie die Vorstellung, dass irgendwo da draußen ein Mann war, der sich voller Schuld über das Ende ihrer Beziehung nach ihr sehnte, ein Mann, der Stunden damit zugebracht hatte, sein Herz und seine Seele in dieser E-Mail auszuschütten, die da ungeöffnet zwischen einer Nachricht von einem Mitarbeiter der Drogenbehörde – Betreff: »Brauche schnellstmöglich Vorladung« – und einer von Rae – Betreff: »OMG – HAST DU GESTERN GOOD WIFE GESEHEN???« – auf sie wartete, ziemlich faszinierend.
Also klickte sie die Mail an.
Rylann
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