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Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen

Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen

Titel: Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Pevel
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Lebensfreude an den Tag, die Leprat gegen den Strich ging. Ganz zu schweigen von seiner geschickt zur Schau gestellten lässigen Aufmachung.
    Eigentlich war es die Kleidung eines Edelmanns: ein Wams mit kurzen Rockschößen, ein weißes Hemd, den Degen am Waffengurt und Stiefel aus exzellentem Leder. Aber all das trug er mit einer Nonchalance, die verriet, wie sehr der Gascogner auf seinen Charme vertraute und auch darauf, dass das Schicksal ihm hold war. Das Wams war aufgeknöpft, und auch der Hemdkragen stand weit offen. Sein Degen schien nichts zu wiegen, und die Stiefel hatten es dringend nötig, mal wieder ordentlich gebürstet zu werden.
    »Auf geht’s«, sagte Marciac und zog schwungvoll einen Stuhl heran. »Ich sollte mir deine Verletzung ansehen. Vielleicht muss der Verband gewechselt werden.«
    »Jetzt?«
    »Aber ja. Oder wirst du irgendwo anders erwartet?«
    »Ha, sehr witzig …«
    »Nörgle nur herum, du armseliger Kerl. Ich habe nun mal einen Eid geleistet, der mich zwingt, dich zu versorgen.«
    »Du? Einen Eid? Ha! Das ich nicht lache … Meinem Bein geht es jedenfalls ganz hervorragend.«
    »Wirklich?«
    »Nun ja … Ich meine, es geht ihm besser.«
    »Du leerst also nicht eine Flasche um die andere, um die Schmerzen zu lindern …«
    »Hast du nichts Besseres zu tun, als meine Flaschen zu zählen?«
    »Doch, dein Bein zu versorgen.«
    Mit einem Seufzer streckte Leprat schließlich die Waffen
und ließ sich, wenn auch widerwillig, behandeln. Schweigend nahm ihm Marciac den Verband ab und untersuchte die Wundränder, um sicherzugehen, dass sie sich nicht entzündet hatten. Seine Handgriffe waren behutsam, aber bestimmt.
    Schließlich, ohne zu ihm aufzublicken, fragte er seinen Patienten: »Seit wann weißt du es?«
    Leprat erstarrte, überrascht und beunruhigt zugleich. »Seit wann weiß ich was?«, ging er in die Defensive.
    Diesmal sah ihm Marciac in die Augen. Seine Miene war ernst und machte es überflüssig, dass er sich wiederholte. Einen Moment lang blickten sich die beiden Männer an. Dann fragte Leprat: »Und du? Seit wann weißt du es?«
    »Seit gestern«, erklärte der Gascogner. »Seit ich zum ersten Mal deine Wunde gesehen habe … Ich habe das Obâter in deinem Blut bemerkt. Es war so viel davon zu sehen, dass auch du selbst bemerkt haben musst, dass dich die Ranz erwischt hat.«
    Laut Galenos, dem großen griechischen Arzt aus der Antike, auf dessen Theorien sich bis dato noch die gesamte abendländische Medizin stützte, war der menschliche Organismus auf das Gleichgewicht von vier Körpersäften angewiesen, denen vier Temperamente zugeordnet wurden: sanguinisch, phlegmatisch, melancholisch und cholerisch. Demnach war man wohlauf, wenn diese Temperamente im rechten Verhältnis zueinander standen. Doch falls eines überhandnahm, entstünden Krankheiten, hieß es.
    Deshalb galt es, den jeweiligen Temperamenten und ihren zugehörigen Körpersäften mit Hilfe von Aderlässen, Klistieren und allerhand anderen Reinigungsmethoden zu Leibe zu rücken.

    Vorreiter der Medizin, wie die Ärzte der Fakultät von Montpellier – wo auch Marciac studiert hatte -, waren jedoch zu der Auffassung gekommen, dass die Seuche, die von den Drachen ausging, von der Übersättigung mit einem fünften Körpersaft, dem Obâter, herrührte, das ihrer Rasse zu eigen war. Dieser Saft, so behauptete man in Montpellier, störe das Gleichgewicht der menschlichen Temperamente und gäbe die Erkrankten dem langsamen, qualvollen Verfall preis. Doch ihre Kollegen und traditionellen Kontrahenten von der Pariser Fakultät wollten nichts davon wissen und beriefen sich darauf, dass Galenos selbst das Obâter nirgends erwähnt hatte und sich schließlich nicht geirrt haben konnte.
    »Ich bin seit zwei Jahren krank«, sagte Leprat.
    »Hast du schon das Stadium der Großen Ranz erreicht?«
    »Nein. Glaubst du etwa, ich würde zulassen, dass mir irgendwer zu nahe kommt, wenn ich bereits ansteckend wäre?«
    Marciac wich einer Antwort aus. »Die Große Ranz bricht bei manchen Erkrankten niemals aus«, erklärte er. »Manche leben bis zu ihrem Tode mit der Kleinen Ranz.«
    »Aber wenn sie ausbricht, wird aus mir ein bedauernswürdiges Monster …«
    Der Gascogner nickte finster. »Wo ist das Mal?«, fragte er.
    »Am Rücken. Es zieht sich bereits über beide Schultern.«
    »Zeig es mir.«
    »Nein. Das bringt doch nichts ein. Man kann ja sowieso nichts daran ändern.«
    Tatsächlich war es so – ob die Ärzte von Montpellier nun

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