Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
…«
»Nein, es handelt sich nicht um denjenigen, der Euch bereits Informationen zuspielt. Der, von dem ich hier spreche, ist Euch noch unbekannt. Zumindest in dieser Funktion, denn er zählt zu jenen, an denen bald das Einweihungsritual vollzogen wird.«
Die Vicomtesse konnte ihre Überraschung kaum verbergen.
Die Große Loge von Spanien hatte nun also einen Spion im Hause des Kardinals, einen, von dessen Existenz sie gerade erst erfahren hatte. Das sah der Schwarzen Kralle ähnlich, und sicher hatte dabei auch die Große Loge ihre Hand im Spiel. Sie war die älteste unter den Logen. Wie es die Tradition wollte, herrschte sie über alle anderen Logen Europas und verteidigte ihre eigene Vormachtsstellung umso eifersüchtiger, je mehr sie ihre Autorität bedroht sah. Man warf ihr mit Recht vor, unter der Last ihrer Traditionen zerdrückt und von Herren geführt zu werden, die sich vor allem um
den Erhalt ihrer eigenen Privilegien scherten. Gegen die Gro ße Loge intrigierten sogar in den engsten Reihen der Schwarzen Kralle einige Drachen, die insgeheim davon träumten, den alten Idolen den Staub abzuklopfen – wenn nicht gar, sie niederzureißen. Auch die Vicomtesse de Malicorne gehörte zu diesen ehrgeizigen Verschwörern.
»Nun?«, fragte sie.
»Unser Spion informierte uns darüber, dass der Kardinal vorhabe, sich wieder an einen unserer alten Feinde zu wenden. Wenn man berücksichtigt, wie viel Zeit diese Nachricht gebraucht haben mag, um bis zu uns nach Spanien zu gelangen, ist die Sache wohl bereits über die Bühne gegangen.«
»Einer unserer alten Feinde?«
»La Fargue.«
»La Fargue und seine Klingen.«
»Zweifellos. Ich weiß zwar nicht, ob ihre plötzliche Wiederkehr auch etwas mit Eurem Vorhaben zu tun hat, aber ich rate Euch: Nehmt Euch vor diesen Männern in Acht, und mehr noch vor ihrem Anführer.«
6
Der Fechtsaal von Jean Delormel lag versteckt in der Rue des Cordières , ganz in der Nähe der Porte Saint-Jaques . Man entdeckte ihn erst, nachdem man das Eingangsportal zu einem kleinen holprig gepflasterten, aber sauberen Hinterhof durchschritten hatte. In der Mitte stand ein Apfelbaum, dessen ausladendes Astwerk sich fast über den ganzen Hof erstreckte. Ganz hinten zur Linken stand ein hübsches Wohnhaus
in geradem Winkel zum Stall, an das wiederum eine kleine Schmiede angrenzte. Die Schritte und Blicke der Besucher wurden allerdings sogleich nach rechts auf ein Gebäude gelenkt, welches das traditionelle Schild an seiner Schwelle als Fechtsaal auswies – ein Arm, der ein Schwert führte.
Unter dem Apfelbaum saß ein kleines Mädchen von sechs Jahren auf einer steinernen Bank. Als Hauptmann La Fargue in den Hof ritt, spielte es gerade mit einer Puppe, deren Körper aus Lumpen bestand, mit einem Kopf aus bemaltem Holz. Die kleine Justine mit den roten Locken und dem hübschen Kleidchen war die jüngste Tochter des Fechtmeisters Delormel, dessen Frau ihm sieben Kinder geboren hatte. Doch nur drei hatten überlebt. Als alter Freund der Familie kannte La Fargue Justine seit ihrer Geburt, ebenso, wie er ihre älteren Geschwister kannte, seit sie das Licht der Welt erblickt hatten. Aber während seiner Abwesenheit war aus dem Säugling ein hübsches und ernstes kleines Ding geworden, das aufmerksam zuhören konnte und viel nachdachte. Die Verwandlung erschien dem Hauptmann bei seiner Rückkehr nach fünf Jahren ganz plötzlich, als sei sie von heute auf morgen geschehen. Nichts machte einem deutlicher, dass die Zeit verging, als ein heranwachsendes Kind.
Justine stand auf, klopfte sich dabei den Staub vom Kleid und begrüßte den Reiter mit einem besonders höflichen Knicks. Er war inzwischen abgestiegen und marschierte nun auf den Stall zu, ohne sich weiter für sie zu interessieren.
»Guten Tag, mein Herr.«
Mit den Zügeln in der Hand blieb er stehen.
Sein kühler Blick, die ernste Miene, der gepflegte Bart, eines römischen Patriarchen würdig, die strenge Eleganz seiner
Kleidung und die stolze Sicherheit, mit der er den Degen trug, beeindruckte sogar Erwachsene und schüchterte die meisten Kinder ein. Doch dieses kleine Fräulein schien sich nicht vor ihm zu fürchten.
Das verwunderte den Hauptmann ein wenig, und er hielt zögernd inne. Schließlich grüßte er sie mit einem steifen Kopfnicken, bei dem er die Hand an die Krempe seines Hutes führte, und ging an ihr vorbei.
Justines Mutter, die gerade in der Küche beschäftigt war, hatte die Szene durch das offene Fenster
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