Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
Saint-Lucq. »Dann sperr mal deine Ohren auf …«
12
Kaum hatte er den Fuß in den Hof eines erst kürzlich errichteten, herrschaftlichen Stadthauses gesetzt – es lag im Marais-Viertel, nur wenige Schritte von der eleganten und aristokratischen Place Royale entfernt -, trat ein Bursche auf ihn zu, der ihm sein Pferd abnahm.
»Ich bleibe nicht lange. Warte hier auf mich.«
Die Zügel in der Hand, nickte der Bursche und beobachtete aus dem Augenwinkel den eleganten Marquis de Gagnière, der eiligen Schrittes die Freitreppe erklomm.
Er trug einen breitkrempigen Filzhut mit auffälligem Federbusch, war nach der neuesten Mode gekleidet und wirkte fast schon geziert. Überhaupt schien er auf Äußerlich keiten großen Wert zu legen: Der Mantel, den er locker über die linke Schulter geschwungen hatte, war unter der rechten Achsel mit einer seidenen Kordel befestigt. Am flachsfarbenen Wams prangten glänzende Silberknöpfe, und auch die farblich darauf abgestimmten Hosen waren mit auffälligen silbernen Knöpfen verziert. Den Kragen und die Manschetten umspielten cremefarbene Spitzen, die Handschuhe waren aus weichem Wild- und die Stulpenstiefel aus feinem Ziegenleder. Die extreme Raffinesse der Kleidung, die schlanke Figur und die feinen Gesichtszüge mit dem sorgfältig gestützten Jünglingsbärtchen unterstrichen sein androgynes Wesen. Mit seinen kaum zwanzig Jahren versprühte er einen jungenhaft-betörenden Charme.
Am oberen Ende der Treppe empfing ihn ein bereits in die Jahre gekommener, weißhaariger Lakai und führte ihn mit gesenktem Blick in ein elegantes Vorzimmer. Dort bat er ihn, sich zu gedulden, bis er der Vicomtesse den Besuch gemeldet hätte. Als der Dienstbote schließlich zurückkam, verbeugte er sich tief und hielt dem Gast höflich die Tür auf. Aber selbst dabei vermied er es tunlichst, den Blick des jungen Mannes zu kreuzen. Etwas Bedrohliches schien von seiner Person auszugehen, als würden seine Eleganz und seine engelhafte Schönheit nur eine heimtückische Seele verbergen. Was das betraf, glich er dem Degen, den er am Gurt trug: eine Waffe, deren Glocke und Griff auf feinste Weise gearbeitet
waren, deren Klinge jedoch aus scharfem, tödlichem Stahl bestand.
Gagnière trat durch die Tür und fand sich allein in einem Raum wieder.
Das luxuriös eingerichtete Gemach war düster. Geschlossene Vorhänge sperrten den hellen Morgen aus, und nur einige duftende Kerzen sorgten für flackerndes Zwielicht. Es war ein Schreib- und Lesekabinett. Hohe Bücherregale säumten die Wände.
Am Fenster neben einem Kandelaber lud ein bequemer Sessel zur Lektüre ein, und auf einem kleinen runden Tischchen standen eine Weinkaraffe und ein zierliches Kristallglas bereit. Über dem Kaminsims hing ein großer, in Gold gerahmter Spiegel. Die Möbel hatten vom Gebrauch bereits Patina angesetzt.
Auf einem großen Tisch stand ein fremdartiger Globus.
Der junge Edelmann trat näher heran.
Die Kugel baumelte an einer vergoldeten Aufhängung und schimmerte pechschwarz und verführerisch, wie wabernde Tinte. Sie schien das Licht eher zu verschlucken als zu reflektieren. Betrachtete man sie, verlor sich der Blick in ihrer tiefen Kubatur.
Und mit ihm die Seele.
»Fasst es nur nicht an.«
Gagnière zuckte zusammen. Er wurde gewahr, dass er sich weit über den Tisch geneigt und die rechte Hand nach dem Globus ausgestreckt hatte. Rasch richtete er sich auf und fuhr noch immer etwas verwirrt herum.
Durch eine Geheimtür trat eine blutjunge Frau. Ihr schwarzrotes Korsagenkleid war von strenger Eleganz, den Ausschnitt umspielten perlmuttfarbene Spitzen. Sie war zierlich, blond
und von ausgesprochener Attraktivität. Ihr Gesicht schien nur dafür geschaffen, angehimmelt zu werden. Doch ihre stahlblauen Augen strahlten keinerlei Liebenswürdigkeit aus, eben so wenig wie ihr hübscher, regloser Mund.
Mit gemessenem Schritt näherte sich die Vicomtesse de Malicorne dem jungen Mann.
»Bitte … verzeiht«, stammelte er. »Ich weiß nicht, was mich …«
»Macht Euch keine Gedanken, Monsieur de Gagnière. Keiner kann ihr widerstehen. Nicht einmal ich.«
»Ist es … Ist es das, was ich glaube?«
»Eine Seelenkugel, ja.«
Sie legte ein goldbesticktes Tuch über den geheimnisvollen Globus, und unversehens war es so, als hätte eine dunkle Macht den Raum verlassen.
»Ist es so nicht viel besser?« Sie erhob sich und wollte schon fortfahren, als sie ein besorgter Ausdruck auf dem Gesicht des Marquis innehalten ließ.
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