Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
aufgesucht, wo dieser stets seine Schüler empfing. Der Jüngling hatte sich auf ein Duell eingelassen und wollte nun rasch lernen, wie man die Klingen kreuzte. Die Zeit drängte. Und hieß es nicht, die Lektionen, die der Spanier in einem schäbigen Hinterhof erteilte, könnten es mit den besten Fechtschulen von Paris aufnehmen? Einige intensive Lehrstunden, bar auf die Hand bezahlt, würden sicher ausreichen. Schließlich ging es letztlich doch nur darum, einige Bewegungen zu erlernen, die, in rascher Folge ausgeführt, dem Gegner den Garaus machten.
Wie schon so oft, hatte sich Almadès gefragt, ob der verzweifelte junge Mann ernstlich glaubte, es gäbe diese geheimen tödlichen Tricks, die den Sieg garantierten, selbst wenn es mit dem Talent des Fechters nicht weit her war. Und auch wenn es sie gäbe – würde sich jemand mit einem Funken Verstand unter den gleichen Vorraussetzungen in ein Pistolen-Duell stürzen? Wahrscheinlich war es wohl eher so, dass der Student, voll Entsetzen darüber, sein Leben mit dem Degen in der Hand aufs Spiel zu setzen, an dieses Geheimnis glauben wollte.
Er war wie all die anderen, die sich aus Ehre, Kummer oder schlicht Dummheit von einem Tag auf den anderen auf einer Duellwiese wiederfanden. Natürlich hatte er Angst, und dergestalt in die Enge getrieben, erhoffte er sich ein Wunder.
Almadès hatte ihm erklärt, dass er ihm innerhalb der gegebenen Frist lediglich einige Grundzüge der Fechtkunst vermitteln konnte, dass selbst dem besten und mutigsten Fechter der Sieg niemals sicher ist und dass es besser war, auf ein aussichtsloses Duell zu pfeifen als auf das eigene Leben. Doch der Student war nicht von seinem Vorhaben abzubringen,
und so hatte Almadès eingewilligt, ihn eine Woche lang zu unterweisen, sofern er den Großteil des vereinbarten Salärs im Voraus bezahlte. Aus Erfahrung wusste der Fechtmeister, dass viele Neulinge, entmutigt durch die Anstrengungen dieser Kampfeskunst, schnell von selbst das Handtuch warfen. Mit ihnen verschwanden dann die Einkünfte aus den Lektionen, die er noch nicht kassiert hatte.
»Ich bitte Euch inständig, Meister, sagt mir, ob ich so weit bin!« Der junge Mann blieb hartnäckig. »Das Duell ist schon morgen!«
Sein Lehrer sah ihn lange an. »Es kommt darauf an, ob Ihr bereit seid zu sterben.«
Anibal Antonio Almadès di Carlio, wie sein voller Name lautete, war groß und von Natur aus schlank. Doch Zeiten der Entbehrung ließen ihn regelrecht ausgemergelt erscheinen. Er hatte pechschwarzes Haar, dunkle Augen und einen fahlen Teint. Der Schnurrbart war akkurat gestutzt und bereits leicht ergraut. Wams, Hemd und Hosen waren sauber, wenn auch hier und da unauffällig Flicken gesetzt worden waren. Die Spitzen an den Hemdsärmeln und am Kragen hatten schon bessere Tage erlebt, an seinem Hut fehlte die Feder, und seine Stiefel waren schon lange nicht mehr gewichst worden. Aber selbst in Lumpen hätte Almadès noch eine recht gute Figur gemacht. In seinen Adern floss altes andalusisches Blut, das seinem ganzen Wesen Stolz verlieh.
Der Student erblasste, als er so schonungslos mit der Möglichkeit des eigenen Todes konfrontiert wurde.
»Geht Euer Duell bis zur ersten blutenden Wunde?«, fragte der Fechtmeister beschwichtigend.
»Ja.«
»Bestens. Statt Euren Gegner zu töten, verwendet Euer
Können besser darauf, Euch nur leicht von ihm verwunden zu lassen. Bleibt in der Defensive. Weicht aus. Spart Euren Atem und Eure Kräfte. Hofft auf einen Fehler. Eine Ungeschicklichkeit des Gegners ist immer möglich. Aber geht kein Risiko ein. Achtet darauf, Euch auch im Zuge eines Angriffs niemals zu sehr zu exponieren. Haltet die linke Hand recht hoch, damit Ihr, wenn nötig, Euer Gesicht schützen könnt: Es ist besser, einen Finger zu verlieren, als ein Auge einzubüßen.«
Der junge Mann nickte: »Ich werde alles so machen, wie Ihr sagt.«
»Nun denn, auf ein Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen, Meister.«
Sie gaben sich die Hand und gingen auseinander.
Almadès trat aus der düsteren Gaststube in den überdachten Hinterhof, wo er Übungsstunden für seine Schüler abhielt. In der Nähe hörte man Hühner gackern; das Wiehern eines Pferdes und sogar das Muhen einer Kuh waren zu vernehmen. Der Faubourg Saint-Antoine entstand gerade erst und war noch immer sehr ländlich. Er bestand erst aus einigen Wohngebäuden und Gasthäusern. Hinter den neu errichteten Fassaden, die die staubigen Straßen nach Paris hinein säumten, versteckten sich
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