Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
etwas widerwillig darauf herum.
»Du magst es lieber, wenn deine Opfer noch lebendig sind und sich verteidigen, nicht wahr?«, murmelte Saint-Lucq. »Ich auch …«
»Was hast du gesagt?«, fragte Madeleine vom Bett her.
Er schwieg und machte sich weiter daran, den Dragun zu füttern.
Doch dann stieß eine Wyverne, die mit einem königlichen Boten auf dem Rücken Richtung Louvre am Himmel vorbeizog, einen durchdringenden Schrei aus. Der Dragun – als würde er auf den Ruf des großen Reptils reagieren – breitete plötzlich seine Flügelchen aus und flog davon.
Saint-Lucq schloss das Fenster, aß den Rest Wurst und zog sich vollständig an.
»Gehst du?«, erkundigte sich Madeleine.
»Das siehst du doch.«
»Wirst du erwartet?«
»Ja.«
»Von wem?«
Das Mischblut zögerte kurz und entschied dann, dass eine unglaubliche Wahrheit genauso gut war wie eine Lüge. »Vom Großen Coësre.«
Das Freudenmädchen lachte schallend auf. »Ja klar! Dann grüß ihn doch bitte von mir. Und wenn du schon mal da bist, am besten auch gleich das ganze diebische Viertel der Wunder!«
Saint-Lucq begnügte sich mit einem Lächeln. Dann knöpf te er sein Wams zu, legte sich den Wehrgurt um und setzte sich seine absonderliche Brille mit den blutroten Gläsern auf. Bereits auf der Türschwelle, drehte er sich noch einmal um und warf zwei Silbermünzen auf das Bett.
Madeleine wunderte sich, denn für ihre Dienste hatte er sie bereits bezahlt. »Das ist aber viel für ein Stückchen Wurst«, zog sie ihn auf.
»Die eine ist dafür, dass du den Dragun fütterst, wenn er wiederkommt.«
»Meinetwegen. Und die zweite?«
»Damit du nicht vergisst, wozu die erste bestimmt ist.«
19
Arnaud de Laincourt wohnte in der Rue de la Ferronnerie , die als eine Verlängerung der Rue Saint-Honoré zwischen dem Sainte-Opportune -Viertel und dem Schlachthof entlang des Friedhofs Saints-Innocents verlief. Sie stellte die Verbindung zur Rue des Lombards dar und war somit eine der wichtigen Verkehrsachsen der Hauptstadt. Da sie jedoch kaum vier Meter breit war, war sie regelmäßig verstopft. Zu trauriger Berühmtheit war sie gelangt, als sich Ravaillac den stockenden Verkehr zunutze gemacht hatte, um Heinrich IV. zu erdolchen. Abgesehen davon war Laincourts Adresse vollkommen nichtssagend. Er logierte in einem ganz gewöhnlichen Haus, wie es in Paris unzählige gab: so schmal und hoch, als wollten die Nachbarhäuser es zermalmen. Im Erdgeschoß befand sich ein Litzengeschäft, wo man Tressen, Bänder und Borten aller Art erstehen konnte. Neben dem Laden führte ein muffeliger Gang zu einer Treppe ohne Tageslicht, über deren ausgetretene Holzstufen man die oberen Etagen erreichen konnte.
Laincourt wollte gerade die Treppe erklimmen, als er hinter sich im Halbdunkel des Flurs die Tür in den Angeln quietschen hörte.
»Seid gegrüßt, Leutnant.«
Es war Monsieur Laborde, der Litzenhändler. Zweifelsohne hatte er ihn abgepasst, wie er überhaupt allen Hausbewohnern auflauerte. Außer dem Laden hatte er die drei Zimmer in der ersten Etage für sich und seine Familie gemietet, dazu noch eine armselige kleine Kammer im zweiten Stock für das Dienstmädchen. Er war der Hauptmieter, seines Zeichens verantwortlich dafür, die Mieten einzutreiben, und
immer bedacht auf den guten Ruf des Hauses. Mit dem Hochmut dessen, der eifersüchtig die Vertrauensstellung, die der Besitzer ihm zugedachte, verteidigte, hatte er ein eifriges Auge auf alles.
Laincourt unterdrückte ein Seufzen und drehte sich zu ihm um. »Monsieur Laborde.«
Da der Krämer ein typischer Kleinbürger war, hasste er das einfache Volk und verachtete alle, die weniger wohlhabend waren. Seinesgleichen jedoch unterstellte er neidisch, den Erfolg nur erschlichen zu haben. Er buckelte vor den Mächtigen und hatte immer das Bedürfnis, die Gunst von Autoritätsper sonen zu erlangen. Laincourt, Leutnant der berittenen Garde Seiner Eminenz, hätte er nur allzu gern zu seinen Kunden gezählt.
»Erweist mir doch die Ehre, mich bald einmal in meinem bescheidenen Laden zu besuchen, mein Herr. Ich habe ein paar Satinbänder, die nach Ansicht meiner Gattin ganz vorzüglich zu einem Wams passen würden, das sie Euch hat tragen sehen.«
»Ach ja?«
»Gewiss, und Ihr wisst ja ebenso gut wie ich, dass Frauen für solche Dinge ein besonderes Auge haben.«
Laincourt konnte nicht umhin, sich Frau Laborde vorzustellen und die Ellen von Bändern und Schleifen, die auch noch das geringste ihrer Kleider
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