Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
einschüchternder Größe und Ausstattung, und die Vergoldungen und kostbaren Vertäfelungen glänzten im Licht des Tages, das durch zwei Fenster hereinfiel. Die Fenster gingen zum Ehrenhof hinaus, und man konnte die Parade hören.
Sechs angesehene Gardisten, die für ihre Loyalität bekannt waren, standen sich stocksteif und unbewegt in Habachtstellung gegenüber, drei zur rechten und drei zur linken Seite des Raums, als würden sie den Weg zu dem großen Arbeitstisch weisen wollen, an dem Hauptmann Saint-Georges mit dem Rücken zu den Fenstern saß. Schräg hinter ihm stand Charpentier.
Die Anwesenheit von Richelieus Privatsekretär konnte nur eines bedeuten, und Laincourt begriff das sofort. Er wartete, bis der Lakai die Tür hinter ihm geschlossen hatte, und ging dann gemessenen Schrittes zwischen den Wachen hindurch. Auch der alte Brussand war dabei; steifer noch als die anderen stand er da, es schien fast, als zittere er und könne nur schwer an sich halten.
Allen war die Anspannung deutlich ins Gesicht geschrieben. Laincourt zog den Hut und salutierte.
»Zu Euren Diensten, mein Herr.«
Mit strengem Blick erhob sich Saint-Georges und ging um den Tisch herum. Er streckte die Hand aus und befahl: »Euren Degen, mein Herr!«
Im selben Moment verkündete ein Trommelwirbel das Ende der Parade.
26
»Du weißt doch, dass du keine Schuld daran trägst?«
Agnès de Vaudreuil fuhr zusammen, als hätte sie ein glühender Schürhaken berührt. Sie war eingenickt, und durch ihr Aufschrecken war ihr das aufgeschlagene Buch vom Schoß gerutscht. Entsetzen erfasste sie, aber sie brauchte nur eine Sekunde, um zu begreifen, dass sie allein war. Im Übrigen konnte die Stimme, die sie gehört hatte, nur aus dem Jenseits gekommen sein.
Gleich nachdem sie mit Ballardieu aus dem Gasthaus zurückgekehrt war, hatte sie sich im Herrenhaus in ihr Lieblingszimmer zurückgezogen, einen länglichen, spärlich eingerichteten Raum, in dessen Stille sie zur Ruhe kam. Auf der einen Seite des Zimmers standen alte Rüstungen auf Sockeln und Ständer mit Sammlungen mittelalterlicher Waffen aufgereiht. In der Wand gegenüber befanden sich vier hohe Fenster mit steinernem, gotischem Stabwerk, durch die das Licht schräg auf die Rüstungen fiel und sie wie strenge Wächter wirken ließ. An beiden Enden des Raums rissen zwei große Kamine ihre rußigen Ziegelmäuler auf. Ursprünglich war der Saal für festliche Bankette bestimmt, aber die prunkvollen Tische und Stühle hatten längst einen anderen Platz gefunden, und seither prangten die ausladenden, schmiedeeisernen Leuchter nur mehr über nackten Steinplatten.
Bei schlechtem Wetter trainierte Agnès hier, allein oder zusammen mit Ballardieu. Sie liebte es aber auch, sich hierher zurückzuziehen, um zu lesen, ihren Gedanken nachzuhängen oder einfach nur darauf zu warten, dass der Tag oder manchmal auch die Nacht vorüberging. Zu diesem Zweck hatte sie sich an einem der Kamine wohnlich eingerichtet.
Dort standen ein Sessel mit lederner Rückenlehne, ein alter abgewetzter Tisch, eine wurmstichige Truhe, ein Regal mit allerhand Abhandlungen über das Fechten und ein Quintan aus einer alten Ritterrüstung. Das war ihre Welt.
An jenem Nachmittag wollte Agnès es sich bequem machen und sich ihrer Lektüre widmen. Ihren Degengurt hängte sie an den Quintan, und sie legte auch ihre Stiefel und das Mieder aus rotem Büffelleder ab. Dann nahm sie in dem Sessel Platz und legte die Beine bequem auf der Truhe vor sich ab. Doch sie war müder, als sie gedacht hatte. Mitten in einem Kapitel über die bestmöglichen Paraden beim Angriff eines Gegners, der über eine größere Reichweite verfügt, übermannte sie der Schlaf.
Und dann war da diese Stimme: »Du weißt doch, dass du keine Schuld daran trägst.«
Agnès Blick fiel auf den Quintan.
Bevor er zu einem Kleiderständer degradiert worden war, hatte er lange Zeit als Attrappe für Fechtübungen gedient. Seine seitlich ausgestreckten Arme hatte man ihm mittlerweile gestutzt, und seine Büste, die nun auf einem soliden Fuß steckte, der verhinderte, dass er sich um die eigene Achse drehte, war übersät von Kerben und Schnitten, die immer dichter wurden, je näher sie dem symbolischen Herzen kamen, das in das Holz geschnitzt war. Ballardieu, der Soldat, in dessen Obhut Agnès’ Vater sie zurückgelassen hatte, hatte den wurmstichigen Quintan von einem Feld geholt, wo er als Vogelscheuche gedient hatte. Schon damals hatte sich die Baronin, die
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