Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
damit hätte glänzen können, speiste mit der Gabel, einer neuen italienischen Erfindung, die sich damals in Frankreich noch nicht durchgesetzt hatte. Er schnitt die Speisen in kleine Stückchen, die er langsam und konzentriert kaute. Dabei schaute er ernst vor sich hin, legte nach jedem Bissen das Besteck zurück und die Hände flach zu beiden Seiten des Tellers ab. Bevor er einen Schluck trank, achtete er stets peinlich genau darauf, sich vorher Mund und Schnurrbart abzuwischen, um den Rand seines Glases nicht zu verschmutzen.
Er hatte gerade eine Pastete vom Goldfasan verspeist, als ein Lakai das Auftischen einer neuen Speise dazu nutzte, ihm etwas ins Ohr zu flüstern.
Der Marquis nahm die Worte ungerührt zur Kenntnis. Dann nickte er.
Kurz darauf trat Malefiz ein.
Er wirkte niedergeschlagen, war dreckig, und seine ramponierte Kleidung stank nach Pferdestall. Das Haar klebte ihm an der Stirn, und seine linke Hand steckte in einem verschmutzten Verband.
Gagnière würdigte ihn nur eines kalten Blickes. »Ich nehme an, es ist nicht alles nach Plan gelaufen.«
Man servierte ihm eine gefüllte Wachtel, die er seelenruhig zerlegte.
»Und deine Männer?«, fragte er.
»Tot. Alle. Hingemetzelt von einem Mann.«
»Von einem einzigen?«
»Aber nicht von irgendeinem! Es war Leprat. Ich habe ihn an seinem Rapier erkannt.«
Gagnière führte ein Stück zartes Wachtelfleisch zum Mund und kaute genüsslich. »Der gute Monsieur Leprat«, sagte er mehr zu sich selbst. »Monsieur Leprat und sein berüchtigtes Elfenbeinschwert …«
»Ein Musketier!«, sagte Malefiz mit Nachdruck, als würde dies sein Versagen entschuldigen. »Und einer von den Besten!«
»Hast du etwa gedacht, der König vertraut seine Botschaften irgendeinem Lakai an?«
»Nein, aber …«
»Wo ist der Brief?«
»Er hat ihn noch immer.«
Der Marquis verspeiste seine Wachtel, während der andere ihm dabei zusah und schweigend sein ungerührtes und jugendliches Antlitz betrachtete. Dann, nachdem er das Besteck auf den Teller gelegt hatte, läutete Gagnière ein kleines Glöckchen und sagte: »Du kannst gehen, Malefiz. Und lass deine Hand richtig versorgen, denn als einarmiger Krüppel bist du mir noch weniger nützlich.«
Als Malefiz den Speisesaal verließ, begann ein Bediensteter damit, den Tisch abzuräumen, und ein weiterer Diener trug gerade einen Brief auf einem verdeckten Tablett herein. Gagnière nahm das Kuvert an sich und öffnete es mit Bedacht.
Das knappe Schreiben kam von der Vicomtesse de Malicorne: »Ihr Mann hat versagt. Der Bote wird noch vor Mitternacht durch das Tor von Saint-Denis reiten. Der Brief darf den Louvre nicht erreichen.«
Der Marquis faltete das Schreiben wieder zusammen und genehmigte sich noch einen Schluck Wein.
Zur selben Zeit ritt Leprat eine staubige, einsame Straße entlang, dem Sonnenuntergang entgegen.
Nah am Herzen, unter dem verschwitzten und blutverkrusteten Wams in den Falten seines Hemds verborgen, trug er eine Geheimbotschaft. Er hatte geschworen, sie mit seinem Leben zu verteidigen. Erschöpft und verwundet, dazu noch geschwächt durch die Krankheit, die beharrlich an ihm nagte, galoppierte er durch die anbrechende Nacht nach Paris. Ihm war bewusst, dass überall Gefahr lauern konnte.
II
Der spanische Ritter
1
Fackeln erleuchteten das Stadttor bei Saint-Denis, als der Chevalier Leprat d’Orgueil eine Stunde nach Einbruch der Nacht dort eintraf. Müde und schmutzig, wie er war, mit gekrümmtem, schmerzendem Rücken, machte er kaum einen besseren Eindruck als sein Pferd. Das arme Tier setzte mit hängendem Kopf mühsam einen Huf vor den anderen und drohte bei jedem Schritt zu straucheln.
»Wir sind ja da, mein Guter«, redete Leprat ihm gut zu. »Jetzt hast du dir eine gute Woche Pause im Stall redlich verdient.«
Am Tor legte er seinen Passierschein vor, ohne jedoch seinen Federhut zu ziehen oder aus dem Sattel zu steigen. Der diensthabende Offizier der bürgerlichen Miliz hob seine Lampe und starrte den bewaffneten Reiter, der mit seinen eingefallenen Wangen und dem finsteren Blick so schlecht aussah, dass man sich geradezu Sorgen machen musste, misstrauisch an. Er studierte das Dokument, und als er die gewichtige Unterschrift erkannte, zeigte er sich plötzlich ehrerbietig, salutierte respektvoll und befahl, unverzüglich die Tore zu öffnen.
Leprat bedankte sich mit einem leichten Kopfnicken.
Das Tor zu Saint-Dénis stellte einen besonders günstigen Zugang zur Stadt Paris dar.
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