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Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen

Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen

Titel: Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Pevel
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die Verlängerung des Haupthauses, flankiert von einem Türmchen und einem Taubenschlag. Es gab einige Luken im Schieferdach, zwei Reihen Fenster mit steinernem Stabwerk und einen Erker, der die Fassade zum Hof hin zierte. Das Erdgeschoss war über eine niedrige Au ßentreppe zugänglich.
    Marciac ließ sein Pferd stehen und erklomm die Stufen. Dann drehte er sich zu seinen Gefährten um, die unten stehen geblieben waren, und rief ihnen ein klein wenig sentimental
zu: »Da sind wir also wieder im Palais Épervier . Und die Faszination ist, wie ihr seht, immer noch ungebrochen … Donnerwetter!« Und verschwörerisch fügte er hinzu: »Der Kasten ist noch finsterer als in meiner Erinnerung, das hätte ich ja nicht für möglich gehalten …«
    »Das Palais hat uns in der Vergangenheit gute Dienste erwiesen«, erinnerte ihn der Hauptmann. »Und es taugt auch heute noch für unsere Zwecke. Im Übrigen sind wir bestens mit den Räumlichkeiten vertraut.«
    Da trat der alte Mann, der ihnen geöffnet hatte, auf seinem Holzbein humpelnd hinzu. Er war klein, dürr und zerlumpt, hatte buschige Augenbrauen, und auf seiner Glatze prangte ein Kranz aus dünnen, gelb-weißen Haaren. »Guten Abend, mein Herr«, begrüßte er La Fargue und reichte ihm einen gro ßen Schlüsselbund.
    »Guten Abend, Guibot. Danke.«
    »Monsieur Guibot?«, mischte sich Marciac ein und trat näher. »Monsieur Guibot, seid Ihr es wirklich?«
    »Aber ja, mein Herr, ich bin es wirklich.«
    »Mir schien, als hätte ich Eure Stimme erkannt, aber … Habt Ihr diese traurigen Steine hier etwa die ganzen vergangenen fünf Jahre bewacht?«
    Der alte Mann reagierte, als hätte man seine Familie beleidigt: »Traurige Steine, mein Herr? Das Palais hat ja vielleicht seine besten Jahre schon hinter sich, und Ihr werdet sicher hier und da ein paar Staubkörnchen und Spinnennetze finden, aber ich kann Euch versichern, dass Dach, Gebälk und Mauern immer noch standhalten. Die Kamine ziehen gut. Keller und Ställe sind in Schuss, und am Ende des Gartens befindet sich noch immer die kleine Pforte zu dem Gässchen, das …«
    »Und sie?«, unterbrach ihn Almadès. »Wer ist sie?«

    Ein junges Mädchen mit weißer Schürze und Haube war auf die Schwelle des Hauses getreten. Sie war blond und rundlich, und ihre blauen Augen lächelten schüchtern.
    »Das ist Naïs«, erklärte Guibot. »Die Köchin.«
    »Und was ist mit Madame Lourdin passiert?«, wunderte sich Marciac.
    »Sie ist letztes Jahr gestorben, mein Herr. Naïs ist ihre Nichte.«
    »Kann sie ebenso gut kochen wie ihre Tante?«
    »Ja, Monsieur.«
    »Kann sie auch ihre Zunge im Zaum halten?«, fragte La Fargue, der wusste, worauf es ankam.
    »Sie ist gewissermaßen stumm, Hauptmann.«
    »Was soll das heißen – ›gewissermaßen‹?«
    »Sie ist so schüchtern und sittsam, dass ihr kaum ein Wort über die Lippen kommt.«
    »Das kann man nun wirklich nicht vergleichen …«
    Naïs traute sich nicht recht, also bedeutete ihr La Fargue, näher zu kommen. Doch dann klopfte es zweimal an der Tür. Alle waren überrascht, und das Mädchen fuhr erschrocken zusammen.
    »Das ist er«, verkündete Guibot, und seine Stimme verriet Besorgnis.
    Der Hauptmann nickte, und seine silbergrauen Haare streiften den Kragen seiner Jacke. »Öffnet die Tür, Monsieur Guibot.«
    »Er?«, fragte Marciac, während der Portier tat, was ihm aufgetragen worden war. »Wer soll das sein: ›Er?‹«
    »Er«, sagte La Fargue und wies mit dem Kinn auf den Mann, der gerade mit einem Braunen am Zügel in den Hof trat …

    Der Mann war gut vierzig Jahre alt, groß, schlank und blass, und er strahlte Stolz und Selbstsicherheit aus. Er trug ein purpurrotes Wams und schwarze Hosen.
    Marciac erkannte ihn, noch bevor er seinen akkurat gestutzten Schnurrbart und die Narbe an seiner Schläfe ausmachen konnte.
    »Rochefort.«

28
    Wie gewöhnlich speiste der junge Marquis de Gagnière allein und recht zeitig. Ein unveränderliches Ritual regelte die Mahlzeit bis ins kleinste Detail, vom ausgewählten Gedeck bis zum Sprechverbot für die Dienerschar, während die Gerichte aufgetischt wurden, die ein gefeierter Meisterkoch für den erlesenen Geschmack seines anspruchsvollen Herrn zubereitet hatte. Die Tischdecke aus strahlend weißem Leinen war wie immer makellos, das Geschirr aus Vermeil, die Gläser und Karaffen aus feinstem Kristall und das Besteck aus reinem Silber. Gagnière, der bei Tisch so prächtig gekleidet war, dass er sogar am königlichen Hofe

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