Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
unbestrittener Anführer jedoch lachte schallend auf.
»Nun gut, du kannst dich damit rühmen, meine Neugier geweckt zu haben. Rede, ich höre dir zu.«
»Es geht um die Rabenbande.«
Bei diesen Worten verfinsterte sich das Gesicht des Großen Coësre. »Nun?«
»Vor kurzem haben sich die Raben eine bestimmte Ware unter den Nagel gerissen. Es handelt sich um eine kostbare und empfindliche Ware, von einer Art, die sie bisher nie interessiert hat. Ist dir klar, wovon ich spreche?«
»Vielleicht.«
»Ich möchte wissen, wo sie diese Ware verstecken. Mir ist bereits bekannt, dass es nicht in Paris ist, aber das ist auch schon alles. Du dagegen …«
Das Oberhaupt des Hofes der Wunder hielt kurz inne. Dann lehnte er sich zu Grangier und flüsterte ihm einige Worte auf ›Narquosisch‹ zu, dem geheimnisvollen Drachenjargon, der für Nichteingeweihte völlig unverständlich war. Der Büttel antwortete in derselben Sprache. Ungerührt wartete Saint-Lucq das Ende des Getuschels ab. Es dauerte nicht lange.
»Angenommen, ich wüsste, was du wissen möchtest«, sagte der Große Coësre. »Warum sollte ich es dir sagen?«
»Es ist ein Rat, für den ich einen hohen Preis zu zahlen bereit bin.«
»Ich bin reich.«
»Du bist außerdem ein gottloser und gesetzesloser Patron. Aber vor allem bist du ein kluger Mann.«
»Was soll das heißen?«
»Die Raben machen dir immer wieder Ärger. Sie schaden deinem Einfluss und stören deine Geschäfte. Und das Schlimmste ist, dass sie keine Befehle von dir entgegenneh men wollen.«
»Dieses Problem wird bald gelöst sein.«
»Ach wirklich? Ich könnte es für dich regeln. Sag mir, was ich wissen will, und ich versetze der Rabenbande einen Schlag, von dem sie sich nicht so bald wieder erholen wird. Den Verdienst kannst du dir sogar selbst auf die Fahnen schreiben, wenn du möchtest … Wir schätzen uns gegenseitig nicht besonders, Großer Coësre. Eines Tages wird zweifelsohne Blut zwischen uns fließen. Aber hierbei überschneiden sich unsere Interessen.«
Nachdenklich strich sich der andere über sein akkurat geschnittenes Bärtchen, das eher aus Flaum als aus Haaren bestand. »Sie ist also so kostbar, diese Ware?«
»Für dich ist sie wertlos.«
»Und für die Raben?«
»Für sie ist sie das wert, was man ihnen dafür geboten hat. Ich glaube, dass sie in dieser Sache nur Handlanger sind und dass sie die Ware sehr bald ihrem Auftraggeber überbringen werden. Wenn das geschehen ist, bleibt mir keine Zeit mehr zu handeln, und du hättest eine gute Gelegenheit verpasst, es ihnen heimzuzahlen. Die Zeit drängt, Großer Coësre.«
»Gib mir eine Stunde, um darüber nachzudenken.«
Der Mann und das Mischblut wechselten einen langen Blick, bei dem jeder versuchte, die Seele des anderen zu ergründen.
»Eine Stunde. Keine Minute länger«, willigte Saint-Lucq ein.
Nachdem Saint-Lucq gegangen war, fragte der Große Coësre seinen Büttel: »Was hältst du von alledem?«
Grangier dachte nach. »Zwei Dinge«, sagte er schließlich.«
»Welche?«
»Zunächst einmal ist es in deinem Interesse, dem Mischblut zu helfen.«
»Und weiter?«
Statt zu antworten, drehte sich der Büttel zu der Alten um, die, das wusste er, seine Worte verfolgt hatte. Zwischen zwei knabbernden Bissen und mit starr geradeaus gerichtetem Blick, als sei sie blind oder die ganze Sache ihr völlig gleichgültig, sagte sie: »Eines Tages wirst du ihn töten müssen.«
25
Die Kardinalsgarde erhielt alle 36 Tage ihren Sold. Zu diesem Anlass fand eine Parade statt, bei der gleichzeitig die genaue Truppenstärke festgestellt wurde. Die Gardisten traten in einer Linie an. Dann schritten der Hauptmann oder sein Oberleutnant mit einer Liste in der Hand an ihnen vorbei. Der Reihe nach nannten die Männer ihre Namen, die auf der Liste abgehakt wurden. Danach wurden die Anwesenden
von einem Offizier in eine beglaubigte und unterzeichnete Liste eingetragen. Das offizielle Dokument wurde dem Schatzmeister ausgehändigt, und die Männer kamen der Reihe nach in sein Büro, um sich auszahlen zu lassen. Für jenen Tag war vereinbart worden, dass die Parade um fünf Uhr nachmittags im Hofe des Kardinalspalais stattfinden werde, da Ihre Eminenz gerade dort logierte. Sofern sie sich nicht entschuldigt hatten, fanden sich alle Gardisten, die nicht gerade im Dienst waren, dort ein. Ihre Uniformen waren in tadellosem Zustand – die Stiefel frisch gewichst, die Mäntel aufgebügelt, die Waffen blank poliert. Sie warteten
Weitere Kostenlose Bücher